Florian Wellbrock hat bei der WM viel vor.

Seine «Ersatzfamilie» wollte Florian Wellbrock dann doch nicht vorzeitig verlassen. «Die Gedanken des Aufhörens sind nach der Enttäuschung hin und wieder durch den Kopf geschossen», sagt der Ausnahmeschwimmer mit Blick auf die ganz bitteren Olympischen Spiele im vergangenen Sommer und ergänzt: «Aber nie wirklich ernsthaft.» In seiner Magdeburger Trainingsgruppe, zu der auch Olympiasieger Lukas Märtens gehört, fühlt sich Wellbrock einfach zu wohl. Bei der WM in Singapur will der 27-Jährige wieder angreifen.

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch (2.00 Uhr/MESZ) zählt der Olympiasieger von 2021 im Freiwasserrennen über zehn Kilometer zu den Favoriten. Der Weg vom völlig niedergeschlagenen, ja fast gebrochenen Sportler der Sommerspiele zurück zum Medaillenkandidaten war nicht nur hart. Er war für Wellbrock auch ungewohnt.

Wellbrock: «Irgendwann kam der Hunger wieder»

Der Muster-Athlet, der das Training liebt, ließ das Schwimmbad einfach mal Schwimmbad sein. «Ich habe lange Pause gemacht. Ich habe die Beine hochgelegt, ein bisschen links und rechts geguckt und einfach mal das Leben genossen», schildert Wellbrock. «Irgendwann kam der Hunger wieder.»

Der Kontakt zu Bundestrainer Bernd Berkhahn riss auch in seiner Auszeit nicht ab. Regelmäßig hielt er den Erfolgscoach der deutschen Langstreckenschwimmer auf dem Laufenden. «Wir haben vereinbart, dass er erst wiederkommt, wenn er richtig Lust hat zu trainieren. Das hat er gemacht», sagt Berkhahn. «Er war von der ersten Einheit mit 110 Prozent wieder da und hat Gas gegeben.»

Als Weltjahresbester in Singapur

Wellbrock schwamm wieder. Und er schwamm auch wieder Rennen. Von der Kurzbahn-WM brachte er zwei Silbermedaillen mit, im Freiwasser siegte er beim Weltcup in Ägypten. Das Vertrauen in die eigene Stärke kehrte Stück für Stück zurück.

Bei den deutschen Meisterschaften Anfang Mai in Berlin, wo Wellbrock erstmals seit langer Zeit wieder Interviews gab, schlug er über 1500 Meter Freistil nach 14:36,25 Minuten an. Diese Zeit hätte im vergangenen Sommer, als Wellbrock bei Olympia im Vorlauf ausschied, zu Bronze gereicht. Als Weltjahresbester ist er nach Singapur gereist.

Dort will er zunächst seine Klasse im Meer zeigen. Am Palawan Beach warten spezielle Bedingungen auf ihn und seine Konkurrenten. Schon am frühen Morgen Ortszeit, wenn das Rennen startet, werden Temperaturen von rund 30 Grad Celsius erwartet. Auch das Wasser ist sehr warm. «Die Temperaturen sind eine begrenzende Größe. Bei solchen Temperaturen kann man nicht Vollgas schwimmen», sagt Berkhahn.

Hartes Training in der Hitzekammer

In den vergangenen Tagen gewöhnten sich Wellbrock und die anderen deutschen Schwimmer, zu denen auch Olympia-Silbergewinner Oliver Klemet gehört, an die Bedingungen im Meer vor der südasiatischen Metropole. Zudem bereiteten sie sich in speziellen Hitzekammern auf die Rennen vor. «Das war schon knallhart», sagt Berkhahn.

Der 54-Jährige nimmt in Wellbrocks Leben eine besondere Rolle ein. Das wird schon dadurch deutlich, dass der Topathlet seinen Trainer als eine Art «Ziehvater» beschreibt. «Jeder von uns verbringt mit Bernd mehr Zeit als mit seiner eigenen Familie. Das schweißt natürlich zusammen», sagt Wellbrock. «Bernd ist immer für uns da – sportlich, persönlich, egal was anliegt. Für mich ist er immer die erste Anlaufstelle, wenn irgendwas ist.»

Nach der Aufarbeitung der Olympia-Krise richtet sich der Blick der beiden längst nach vorn. Die Sommerspiele 2028 in Los Angeles sind das Fernziel. Auf dem Weg dorthin werden die Weltmeisterschaften zeigen, ob Wellbrock sportlich wieder komplett der Alte ist. Dafür hat er alles getan – gemeinsam mit seiner Ersatzfamilie.