In diesem Jahr sind beim Berlin-Marathon erstmals Open-Ear-Kopfhörer für die Breitensportlerinnen und Breitensportler erlaubt. (Symbolbild)

Mit Beats im Ohr und Blick auf die Bestzeit? Worauf manche Athletinnen und Athleten im Breiten- und Spitzensport im Training schwören, ist für andere längst keine Erfolgsformel. Bei der 51. Ausgabe des Berlin-Marathons am 21. September haben zumindest die Hobbysportlerinnen und Hobbysportler die Wahl.

Denn erstmals in der Geschichte des prestigeträchtigen Laufs sind sogenannte Open-Ear-Kopfhörer erlaubt. Die Bauweise der Geräte lässt den Gehörgang frei und ermöglicht so trotz der Musik im Ohr das Hören von Umgebungsgeräuschen. Noch vor Jahren wäre das unmöglich gewesen.

«Die Technologie ist einfach viel besser, als sie es noch vor Jahren war», betont Christian Jost, Geschäftsführer vom Organisator des Berlin-Marathons, SCC Events. Der Veranstalter, der im Rahmen der Regeländerung mit einem Kopfhörer-Unternehmen zusammenarbeitet, folgt damit einem Trend. Denn immer mehr Marathon-Veranstalter lassen moderne Kopfhörer-Technologien und damit das Musikhören für den Breitensport zu.

Musik kann, muss aber nicht leistungssteigernd sein

Doch inwieweit wirkt sich Musik aufs Sporttreiben überhaupt aus? Lars Donath, Professor am Institut für Trainingswissenschaften und Sportinformatik an der Deutschen Sporthochschule Köln, meint, dass Musik durchaus einen positiven Effekt haben kann, aber nicht zwingend haben muss.

«Man unterscheidet erst mal je nach Belastungsform. Beim Ausdauersport ist der sogenannte ergogene Effekt größer, also der leistungssteigernde Effekt. Bei taktischen Mannschaftssportarten, bei koordinativen Sportarten, bei denen man mehr Entscheidungssituationen ausgesetzt ist, kann der störende bzw. der ablenkende Teil von Musik wiederum höher sein», erklärt Donath.

Der Sportwissenschaftler empfiehlt, Musik zu hören, zu der man eine emotionale Verbindung habe. «Das, was man gerne hört und womit man positive Emotionen verbindet, sollte man auch beim Sport hören, damit das dann so ein bisschen auch ansteckt. Wenn man Musik hört, die man nicht mag, dann ist die auch nicht leistungssteigernd. Das sollte man berücksichtigen.»

Busemann kein großer Fan: «Hat mich nicht so überzeugt»

Der frühere Weltklasse-Zehnkämpfer Frank Busemann kann mit Kopfhörern im Ohr trotz des möglichen leistungssteigernden Effekts wenig anfangen. «Ich laufe ohne Musik, damit ich mich einfach selbst spüre.» Er sei ein Gefühls- und Genussläufer, betont der 50-Jährige, der bei Olympia 1996 in Atlanta Silber gewann und auch nach seiner Karriere noch regelmäßig Sport treibt.

«Ich bin einmal in meinem Leben mit Musik gelaufen und das hat mich nicht so überzeugt. Ich nehme für mich in Anspruch, auch so an meine Grenzen zu gehen ohne Musik», sagt Busemann. Er sei aber auch generell kein großer Musik-Fan: «Ich kann auch 500 Kilometer mit dem Auto fahren ohne Musik – und das stört mich nicht.»

Sorgt Musik fürs Überpacen?

Busemann ist überzeugt davon, dass Musik beim Laufen vor allem bei längeren Distanzen unangenehme Folgen haben kann. «Bei vielen Marathons zum Beispiel gibt es ja auch Musikinseln – das pusht dann schon für den Moment, aber das rächt sich, weil man eben abgelenkt und nicht bei sich ist und sich nach der Musikinsel dann auf einmal wieder der Rhythmus ändert. Das habe ich selbst erfahren», erklärt der Ex-Leichtathlet.

Donath bestätigt, dass Musik eine Gefahr für ein zu hohes Anfangstempo sein könne. Konkrete Studien gebe es dazu aber noch nicht. «Es gibt aber ein paar Studien, die darlegen, dass man Musik hören sollte, die an die Schrittfrequenz oder beim Radfahren an den Rhythmus der Drehzahlfrequenz angepasst sind.»

Veranstalter will Disqualifikationen vermeiden

Ob die Teilnehmenden am Berlin-Marathon die Musik an ihr Schritttempo anpassen, liegt an ihnen selbst. Der Veranstalter jedenfalls ist überzeugt davon, dass man den Wünschen der Hobbyläuferinnen und Hobbyläufer nachkommt. «Es gibt einen großen Wunsch der Teilnehmenden, auch mit Musik zu laufen – und insbesondere im Training ist die Musik ja auch etwas, das beim Laufen einfach unterstützend hilft», sagt Timo Göhler, Teamleiter bei SCC Events.

Jost erklärt zudem, dass eine gewisse Klarheit beim größten und wichtigsten Marathon Deutschlands mit Blick auf die Regularien entstehe. «Bei einem Feld von 50.000 Teilnehmern ist es jetzt auch relativ unrealistisch, mitten aus der Menge Menschen herauszugreifen, sie dann zu disqualifizieren oder Ähnliches zu machen.» Nach dem Rennen sei eine Disqualifikation dann noch brutaler für die Sportlerinnen und Sportler. Mit den Open-Ear-Kopfhörern müssen sie nun nicht mehr fürchten, aus dem Rennen genommen zu werden.

Renndirektor spricht von «Win-win-Situation»

Die Entscheidung dürften daher viele von denen begrüßen, die sich am 21. September den 42,195 Kilometern stellen werden. «Es gibt natürlich Leute, die gerne in ihrem eigenen Rhythmus laufen, mit eigener Unterstützung, und so kriegt man aber trotzdem noch mit, was entlang der Strecke passiert. Also von daher ist es eine Win-win-Situation», erklärt Renndirektor Mark Milde die Vorteile der Berlin-Premiere aus seiner Sicht.

Die neue Regelung sei eine «Antwort auf die Entwicklung der vergangenen Jahre oder Jahrzehnte», so Milde weiter. «Viele der Teilnehmenden sind mit Kopfhörern unterwegs, und wir haben immer so ein bisschen die Problematik, dass wir natürlich wollen, dass die Teilnehmer auch mitbekommen, was um sie herum passiert.»

Olympiasieger Frodeno: Musik und Sport eine tolle Mischung

Einer, der auf Kopfhörer beim Sporttreiben schwört und mit demselben Unternehmen zusammenarbeitet wie die Veranstalter des Berlin-Marathons, ist Triathlon-Olympiasieger Jan Frodeno. «Musik hat mir immer sehr bei hochintensiven Einheiten geholfen, die Erschöpfung etwas länger zu verdrängen. Selbst in der Vorbereitung, um in die richtige Stimmung zu kommen, war und ist Musik entscheidend», sagt der 44-Jährige, der dreimal den Ironman Hawaii gewann und 2023 seine Karriere beendete.

Frodeno betont aber auch, dass man trotz der Kopfhörer immer auf das Umfeld reagieren können sollte. «Und dafür spielt die Wahrnehmung eine wichtige Rolle.» Dass Open-Ear-Kopfhörer beim Berlin-Marathon erlaubt werden, findet er «grundsätzlich gut», sagt der Triathlon-Rentner. «Und ich glaube, dass die Sportler es zu schätzen wissen.» Musik und Sport seien eine «tolle Mischung».

Für die Weltelite bei offiziellen Läufen ein Tabu

Während die Hobbysportlerinnen und Hobbysportler beim Berlin-Marathon zum ersten Mal Kopfhörer tragen dürfen, ist das für die Weltelite weiter verboten, wie Milde erklärt. «Wir haben auch Rücksprache mit den Verbänden wie dem Weltverband geführt. Die legen Wert darauf, dass professionelle Läufer bei einem offiziellen Lauf keine Kopfhörer nutzen, damit beispielsweise nicht Coaching oder irgendwelche Anweisungen erfolgen können.»