Laura Siegemund feierte ausgelassen ihre Wimbledon-Sensation, Jan-Lennard Struff durfte sich zumindest über den anerkennenden Applaus von Carlos Alcaraz zum Abschied vom legendären Centre Court freuen. Nach den Highlightspielen der beiden Routiniers steht Siegemund im Alter von 37 Jahren völlig überraschend als letzter verbliebener deutscher Tennisprofi beim Rasen-Klassiker im Achtelfinale.
Die Doppelspezialistin bezwang die Australian-Open-Siegerin Madison Keys aus den USA in der dritten Runde durch eine taktische Meisterleistung mit 6:3, 6:3.
Struff musste sich hingegen dem Turnier-Topfavoriten Carlos Alcaraz aus Spanien geschlagen geben, hielt beim 1:6, 6:3, 3:6, 4:6 gegen den Titelverteidiger aber lange Zeit stark mit. In den entscheidenden Momenten setzte sich Alcaraz jedoch mit seiner Extraklasse durch. «Er hat sehr gut gespielt und returniert. Sein Spiel passt sehr gut zum Rasen, er hat einen starken Aufschlag», lobte der Weltranglistenzweite seinen Kontrahenten im Interview auf dem Platz.
Siegemund im Achtelfinale mit guten Chancen
Siegemund entnervte die favorisierte Weltranglistenachte Keys mit ihrem variablen Spiel und zahlreichen Stoppbällen. Innig umarmte sie nach dem Triumph ihren Freund und Trainer Antonio Zucca. «Ich bin wirklich glücklich. Es war nicht einfach, es war wirklich windig», sagte Siegemund, die nur gegen Ende der Partie kurz ins Zittern geriet. «Wenn du in dem Moment keine Nerven zeigst, bist du vermutlich tot. Es ist eine Chance, es gibt keinen Druck für mich. Ich habe versucht, mich daran zu erinnern, dass ich nur für mich spiele. Ich muss niemandem mehr etwas beweisen.»
In der Runde der besten 16 darf sich die Weltranglisten-104. nun auch gegen Solana Sierra gute Chancen ausrechnen. Die Argentinierin war eigentlich bereits in der Qualifikation gescheitert, rückte aber als Lucky Loserin ins Hauptfeld. Für Siegemund war es nach dem Zweitrunden-Erfolg über die Kanadierin Leylah Fernandez der zweite Sieg über eine gesetzte Spielerin.
Preisgeld von knapp einer Viertelmillion britischer Pfund
Sie sicherte sich als letzte verbliebene deutsche Tennisspielerin im Einzel auch 240.000 britische Pfund (278.000 Euro). Mit 37 ist sie die älteste Spielerin im Achtelfinale. Siegemund ist erst die sechste Spielerin in der Geschichte des Profitennis, die dies in Wimbledon in diesem Alter erreicht hat. Auf dieser Liste stehen nur die ganz Großen: Billie Jean King, Virginia Wade, Martina Navratilova, Venus und Serena Williams.
Struff als letzter deutscher männlicher Spieler raus
Bei den Herren verpasste Struff hingegen als letzter verbliebener deutscher männlicher Tennisprofi sein erstes Wimbledon-Achtelfinale, Alexander Zverev war bereits in der ersten Runde gescheitert. Nach einem klar verlorenen Auftaktsatz kämpfte sich der Sauerländer in die Partie zurück und durfte sich über einen gewonnenen Durchgang auf dem Centre Court freuen. 2018 hatte er den Rekordsieger Roger Federer aus der Schweiz herausgefordert und glatt verloren.
Struff blieb im Spiel und brachte den Favoriten mit starken Returns immer wieder in Bedrängnis. Nach 2:25 Stunden durfte Alcaraz allerdings doch jubeln.
Siegemund mit Taktik von Maria
Anders als Alcaraz, der sich immer wieder Schwächephasen leistete, blieb Siegemund fast durchgehend konstant. Mit stetigem Wechsel des Tempos, eingestreuten kurzen Bällen und geblockten Returns brachte sie ihre Gegnerin aus dem Rhythmus. Ein Teil der Taktik habe sie sich von Tatjana Maria abgeschaut, die Keys auf dem Weg zum Turniersieg beim Vorbereitungsturnier von Queen’s bezwungen hatte. «Ich habe von der Tadde gelernt», sagte Siegemund bei Prime Video. «Da hat sie geschnipselt, was das Zeug hält, das tut ihr schon weh.»
Favorisierte Gegnerin entnervt
Mit dem Rezept holte sich Siegemund das erste Break der Partie zum 2:1 und ließ sich auch vom eigenen Aufschlagverlust nicht aus dem Konzept bringen. Keys wirkte mehr und mehr entnervt, machte leichte Fehler. Nach 48 Minuten segelte ein Ball der an Nummer sechs gesetzten Spielerin ins Netz, mit einem lauten «Come on» feierte sie den Satzgewinn.
Zu Beginn des zweiten Durchgangs kassierte Siegemund ein Break – zeigte sich aber erneut unbeeindruckt. Vier Spiele in Serie holte sie und hatte beim Stand von 5:2 drei Matchbälle nacheinander. Keys bäumte sich noch einmal auf, doch nach 93 Minuten durfte Siegemund jubeln.
Drei Grand-Slam-Titel gewonnen
Eigentlich ist Siegemund bei Grand Slams auf Doppel und Mixed spezialisiert, hält sich aber auch mit 37 noch auf Plätzen um die Top 100 in der Weltrangliste und hat damit einen Platz im Einzel garantiert. Im Doppel zog sie mit ihrer Partnerin Beatriz Haddad Maia aus Brasilien nach einem Drei-Satz-Sieg in die zweite Runde ein.
«Es ist schon heavy», sagte sie zu ihrem Pensum mit drei Wettbewerben in Wimbledon. «Doppel und Mixed nebenher zu schaukeln, ist ganz gut. Wenn man auch im Einzel steht, wird es schon viel. Aber ich hätte auch nicht damit gerechnet, dass ich noch drin bin im Einzel. Ich nehme es gerne mit.» Bei Grand-Slam-Turnieren feierte sie bislang drei Titelgewinne, einen im Doppel, zwei im Mixed.