Alkohol gehört im Alexandra Palace zum Darts wie die bunten Kostüme, die laute Musik und das Partygefühl. Ausgelassene Fans kaufen für viel Geld mit Bier gefüllte Pitcher und zelebrieren das Sport-Event in London wie einen Junggesellenabschied oder eine Karnevalsparty.
Wenig bis gar nicht thematisiert wurde dagegen lange, wie es sich mit dem Konsumverhalten der Profis auf der Bühne verhält. Dieser Umstand hat sich zuletzt massiv geändert.
Amateurspieler Jochen Graudenz sprach von «gefühlt 70 Prozent Alkoholikern bei den Topstars» und seiner damit begründeten Distanzierung von der Szene. Ex-Champion Dennis Priestley erzählte, wie Spieler früher «flaschenweise» Jack Daniels tranken und er selbst mit vier Bier im Blut Weltmeister wurde. Pünktlich vor der WM kündigte der Deutsche Dart-Verband (DDV) an, in der Bundesliga künftig Alkoholkontrollen einführen und damit den Pegel der Athleten stärker regulieren zu wollen.
Harry Kane, zwei Bier und die Regeln
Der Weltverband PDC, der das WM-Spektakel veranstaltet, hat daran offensichtlich weniger Interesse. «Bei uns ist es nicht so, dass wir das Gefühl haben, das kontrollieren zu müssen. Einfach, weil es nichts ist, was außer Kontrolle geraten ist», sagte Matthew Porter der Deutschen Presse-Agentur in London. Der Geschäftsführer der PDC bemüht dabei eine kuriose Parallele zu anderen Sportarten: «Wenn ich Harry Kane wäre und für Bayern spielen würde, könnte ich zwei Bier trinken und dann in der Allianz Arena auflaufen. Nichts in den Regeln hält ihn davon ab.»
Die Spieler sollen sich am besten nicht groß dazu äußern. Der ehemalige Weltmeister Gerwyn Price aus Wales antwortete auf eine entsprechende Nachfrage bei der EM in Dortmund: «Ich habe noch nie einen Spieler irgendetwas trinken sehen in meinem Leben.» Unmittelbar danach bat ein PDC-Sprecher darum, das Thema bitte zu wechseln. Fragen zum Alkohol sollen nach Spielen nicht thematisiert werden. Sie sind tabu.
Heikel ist das Thema auch deshalb, weil die PDC sich immer mehr um ein Saubermann-Image bemüht. Der Verband setzt sich für Krebsvorsorge ein und unterhält wohltätige Projekte. Dazu passt ein im Raum stehender Alkoholkonsum von Profis, die als Vorbilder fungieren, nur sehr begrenzt.
«Wirst die Kneipe nicht aus dem Darts-Sport rausbekommen»
Auch für die Sponsoren ist ein gutes Image der Sportart essenziell. Wenn ein Spieler – wie bei Mickey Mansell bei der WM 2023 nach seinem Auftritt gesehen – auf der Bühne nur noch lallend das Sieger-Interview geben kann, sagt das in vielerlei Hinsicht einiges aus. «Manchmal liegt es an den Nerven», sagte Porter dazu.
An der Außenwirkung hat die PDC massiv gearbeitet. Eine große salonfähige Bühne hat die verrauchte Kneipe ersetzt. Im Rampenlicht stehen nicht mehr Menschen mit Glas in der Hand und Zigarette im Mund. Sondern Leistungssportler, die um sehr viel Geld spielen und auf der Bühne Wasser trinken. In den Pausen verschwinden sie hinter einem – in den meisten Fällen schwarzen – Vorhang. Was dort passiert, bleibt dem Zuschauer verborgen.
Der ehemalige Schiedsrichter und Branchenkenner Gordon Shumay will sich zu dem Thema nur mit einem Satz zitieren lassen: «Du wirst die Kneipe nicht aus dem Darts-Sport rausbekommen, denn da kommt er ja her.» Noch deutlicher formulierte es Amateur Graudenz in seinem viel beachteten Interview des Portals dartsnews in diesem Sommer: «Der Darts-Sport ist ein richtig dreckiger Sport.»
Thema gewinnt an Wucht
Die deutschen Profis um Gabriel Clemens und Martin Schindler ließen die Anschuldigungen umgehend zurückweisen. Der derzeit verletzte Max Hopp sagte auf eine entsprechende Frage von «Bild» jüngst in aller Kürze: «Nein, spielt keine Rolle. Ist mir nicht bekannt.» Alkohol wirkt im Darts wie ein krasses Tabuthema. Wer offen darüber spricht, ist entweder aktiv abgetreten oder anderweitig kein Teil mehr der Branche.
So wie Ex-Profi Priestley, der 1991 und 1994 Weltmeister wurde. «Die Spieler trinken auf jeden Fall vor den Spielen, auch bei dieser WM. Es gibt nicht viele, die auf die Bühne gehen, ohne vor dem Auftritt etwas zu trinken», sagte Priestley. Er wäre «verblüfft», wenn es auch nur fünf Spieler gäbe, «die keinen Tropfen trinken».
Porter hält die Aussagen und Erfahrungsberichte von Ehemaligen für wenig zielführend. «Ich war niemals Darts-Profi. Aber ich weiß, dass man keine Topspieler auf Elitelevel in diesem Spiel findet, die von Alkohol profitieren. Andere Spieler, die früher Darts gespielt haben, sind nicht aussagekräftig. Das hat nichts mit dem heutigen Sport zu tun», sagte der Verbandsboss, der sich im kleinen Presseraum des Alexandra Palace allen Fragen stellt.
Das Thema war lange keines, denn es fehlten konkrete Hinweise. Übertragende TV-Sender und weitere Rechteinhaber haben zudem kein Interesse daran, ihr Produkt zu beschädigen. Nun kommt immer mehr Wucht in die Debatte. Die ARD berichtete über die bevorstehenden Kontrollen im deutschen Ligabetrieb. Die «Welt am Sonntag» verwendete vor der WM zu einem Bericht, der unter anderem vom Zieltrinken auf einen gewissen Pegel handelt, die Überschrift: «Mit 0,8 Promille auf 180 Punkte».
Alkohol als Hilfe gegen Zittern und Aufregung?
Darts-Boss Porter bestreitet jeglichen praktischen Nutzen von Alkoholkonsum und begründet, man würde unter Einfluss von Alkohol «nicht fähig sein, auf seinem besten Level zu sein». Was kommentieren die Aktiven dazu? Die meisten gar nichts, der Belgier Dimitri van den Bergh sagte im Jahr 2021 in einem Moment seltener Offenheit mal im nationalen Fernsehen: «Ich trinke einen Dimi-Special, so nennen wir das. Das ist ein Malibu mit Orangensaft, gegen den Stress.»
Der Deutsche Dart Verband (DDV), der mit dem Profigeschehen in London nichts zu tun hat, geht anders als die PDC offen und transparent mit der Problematik um. Dem DDV geht es dabei auch um die Vorbildfunktion sowie den Schutz von Jugendlichen. Laut Sportdirektor Karsten Kuckhoff wird der Alkohol in dem Sport durchaus eingesetzt, um eine Leistungssteigerung zu erzielen. Als eine Art Zielwasser.
«Es macht Spieler durch den Konsum nicht zu besseren Dartern, kann aber helfen, die Drucksituation und völlig normale Nervosität in den Griff zu bekommen. Das Zittern der Hand, das sich bei hohem Adrenalinpegel einstellen kann, wirkt in einer Präzisionssportart wie Dart natürlich besonders nachteilig», sagte Kuckhoff der dpa. Tunnelblick ist das Stichwort.
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