Auch mit 37 Jahren träumt Marta Vieira da Silva noch groß.
«Manchmal denkst du kurz vor dem Einschlafen mit geschlossenen Augen: ‚Was ist, wenn wir ins Finale kommen und dies oder jenes passiert?‘ Das wäre einfach wunderbar», sagte «a Rainha», die Königin, vor dieser Fußball-WM, die ihre sechste und letzte sein wird. Bereits ihre Teilnahme sei «surreal», erklärte sie brasilianischen Medien – immerhin fehlte die WM-Rekordtorschützin zwischenzeitlich elf Monate lang im nationalen Aufgebot. Jetzt also die letzte Chance, ihr letzter Traum vom Pokal, der auch ein altes Trauma ablösen soll.
Ob Brasiliens junges Team mit der Altmeisterin tatsächlich Titelreife besitzt, war beim lockeren 4:0-Auftaktsieg gegen Leichtgewicht Panama nur zu erahnen. An diesem Samstag trifft das Team von Trainerin Pia Sundhage in Gruppe F auf Mitfavorit Frankreich (12.00 Uhr MESZ/ZDF), im Achtelfinale droht ein Duell mit der deutschen Elf.
Noch einmal bei einer WM gegen Deutschland zu spielen, das wäre für Marta eine ganz besondere Geschichte. 2007 war’s, als ihr das DFB-Team im Finale von Shanghai den großen Titeltraum zerstörte. Seither ist die Fußball-Welt auch um einen berühmten Elfmeter reicher – Martas verschossenen. Es wäre das 1:1 gewesen in jener 64. Minute. Am Ende verlor das mit weiteren Ausnahmespielerinnen wie Formiga und Cristiane angetretene Brasilien 0:2, zum Gesicht der Niederlage wurde ausgerechnet Marta, die mit sieben Toren beste Schützin des Turniers war.
17 WM-Tore – selbst Klose hat weniger
Die deutsche Torhüterin hieß damals Nadine Angerer, ihre Heldentat erklärte sie hinterher mit ein paar Gedankengängen: «Ich habe ihren Elfmeter im Viertelfinale gegen Australien gesehen. Da hat sie in die linke Ecke vom Torwart aus geschossen. Ich habe mir deshalb gedacht, dass sie denkt, dass ich das wohl gesehen habe und deshalb denke, dass sie wieder in diese Ecke schießt. Deshalb dachte ich, dass Marta in die andere Ecke schießt und bin halt nach rechts gesprungen.»
Von dieser Episode abgesehen war es meist Marta, die für komplexe Aufgaben stets Lösungen fand. Sechsmal wurde sie deshalb zur Weltfußballerin des Jahres gewählt, davon fünfmal in Folge zwischen 2006 und 2010. Ihr kunstvolles Spiel, verziert mit allerlei Tricks, führte zu vielen Toren. 117 Mal traf sie für Brasilien – Rekord. 17 Mal traf sie in nun 21 WM-Spielen – ebenfalls Rekord. «Für mich ist es eine enorme Ehre, diesen Rekord zu halten. Wer weiß, vielleicht kann ich ihn ja sogar noch ausbauen», sagte Marta vor dem Turnier «fifa.com».
Die ganz große Rolle spielen inzwischen aber andere, zum Beispiel Amy Borges, dreifache Torschützin beim 4:0 gegen Panama. Erst als die vier Tore gefallen waren, schickte Trainerin Sundhage in der 75. Minute Marta für Borges auf den Platz. Die Fans bejubelten die beim US-Club Orlando Pride unter Vertrag stehende Legende trotzdem enthusiastisch. Dass die Nummer 10 zurück im Nationaldress ist, imponiert vielen.
Zweifel nach Kreuzbandriss
«Marta ist die Königin, die Ikone, es ist einfach ansteckend, in ihrer Nähe zu sein», sagte Sundhage in der WM-Vorbereitung. Marta habe immer noch viel Energie und sei nach wie vor eine der Besten, wenn es darum gehe, den entscheidenden Pass zu spielen.
Dass bei dieser WM noch ein paar präzise Marta-Pässe bestaunt werden können, ist ein kleines Wunder. Im März des vergangenen Jahres hatte sie sich das vordere Kreuzband gerissen, erst im Februar kehrte Marta nach elfmonatiger Pause ins Nationalteam zurück. Hart sei diese Zeit gewesen, ebenso der Kampf ums Comeback.
Die Königin zweifelte plötzlich. «Ich hörte, wie die Leute sagten, ich sei ja keine 20 mehr. Wie sie sich fragten, ob ich überhaupt zurückkehren würde, ob ich dann noch gut sein würde», erzählte sie. «Es ist logisch, dass das eine der größten Herausforderungen für mich war, weil ich meiner Lieblingsbeschäftigung zum ersten Mal so lange nicht nachgehen konnte.»
Auf der WM-Bühne hat Marta vor 20 Jahren debütiert, als 17-Jährige und so jung wie sonst keine andere Südamerikanerin bei einer Weltmeisterschaft. Nun, mit 37, sei sie einfach nur dankbar, noch spielen zu können. Und den Traum zu leben. «Die perfekte WM für Brasilien wäre der Titelgewinn. Ins Finale einziehen und dieses Mal gewinnen», sagte sie. Marta weiß, was zählt: «Jetzt oder nie.»
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