Zum Abschluss einer hochemotionalen Vierschanzentournee gab der sichtlich enttäuschte Andreas Wellinger ein Versprechen. «Irgendwann werden wir den Hobel auch noch so knacken, dass der goldene Adler wieder bei uns ist», sagte der 28-Jährige im Schneetreiben von Bischofshofen. «Wir wollen es jedes Jahr. Irgendwann können wir es nicht mehr aufhalten.»
So nah dran am ersehnten Tourneesieg wie in diesem Winter waren die deutschen Skispringer lange nicht gewesen. Wellinger hatte sich ein packendes Duell mit Ryoyu Kobayashi geliefert. Am Ende musste er aber zusehen, wie der überragende Japaner die glänzende Trophäe in den Himmel reckte.
Nach strapaziösen Tagen mit hohem Druck war Wellinger zwar erschöpft. Die Sehnsucht, den ersten deutschen Tournee-Titel seit Sven Hannawald 2002 zu holen, war dennoch so groß, dass er sagte: «Von mir aus könnten wir noch vier Wettkämpfe dranhängen, dann hätte ich noch vier Chancen zum Aufholen.»
Trost von Hannawald
In der Bewertung seiner Tournee war Wellinger hin- und hergerissen. Seine Leistung erfüllte ihn grundsätzlich mit Stolz. Die Bilder des jubelnden Kobayashi vor Tausenden deutschen Fans beim großen Finale des Schanzenspektakels im Pongau taten trotzdem weh. Vor dem letzten Wettkampf hatte Kobyashi nur 2,67 Meter vor Wellinger gelegen. Umgerechnet 13,61 Meter betrug der Rückstand des Deutschen in der Schlussabrechnung.
Trost spendete Hannawald, der Wellinger in der ARD für «eine sensationelle Tournee» dankte. Auch die Teamkollegen, Wellingers Freundin und seine Familie litten mit. Kumpel Stephan Leyhe nahm seinen Zimmerpartner herzlich in den Arm. Youngster Philipp Raimund sagte: «Wir haben definitiv mitgehofft – dass die Medien auch mal irgendwann Ruhe geben.» 2018 war Wellinger schon einmal Tournee-Zweiter geworden. 2019 verfehlte Markus Eisenbichler, 2021 Karl Geiger den ganz großen Triumph nur um einen Platz.
«Mister Vierschanzentournee»
Auftaktsieg in Oberstdorf, Rang drei in Garmisch-Partenkirchen und dann zwei fünfte Plätze: Wirklich große Schwächen hatte sich der Bayer nicht geleistet. Wellinger löste an den Schanzen einen Hype aus, der an die großen Zeiten von Hannawald und Martin Schmitt erinnerte. Fans kreischten seinen Namen, die Stimmung war vielerorts noch ausgelassener als sonst. Doch es half nicht. Kobayashi war mit vier zweiten Plätzen der noch etwas konstantere zweier starker Springer. «Ryoyu war einfach besser, das muss man so neidlos anerkennen», sagte Wellinger.
Der Japaner, den der Stadionsprecher in Bischofshofen am Samstagabend passend als «Mister Vierschanzentournee» bezeichnete, feierte bereits seinen dritten Tourneesieg. Damit schloss er zum Polen Kamil Stoch und dem früheren DDR-Springer Helmut Recknagel auf. Nur der fünfmalige Sieger Janne Ahonen aus Finnland sowie Jens Weißflog (vier) haben mehr Titel.
Kobayashi mental stärker?
Kobayashi ist nicht nur sportlich ein Phänomen. Während seine Springerkollegen aus Deutschland, Österreich oder Polen auf jeder Tournee-Station in wahren Interview-Marathons über ihre Leistungen und ihre Gefühlswelt reden, gibt der 27-Jährige mittlerweile schon legendäre Kurz-Interviews und darin quasi nichts über sich preis. Dass Kobayashi mental stärker sei als Wellinger und womöglich auch aus diesem Grund die Tournee gewonnen habe, will Bundestrainer Stefan Horngacher auch deswegen nicht gelten lassen.
«Die mentale Stärke von Andi überwiegt Ryoyu», sagte er. «Ryoyu hat überhaupt nichts zu tun. Er geht ein bissl hin, macht sein Englisch-Interview, dann geht er heim. Andi hat Tag und Nacht was am Schirm, das ist eine andere Nummer. Von der mentalen Seite hat er es gut gemacht.» Horngacher lobte Wellinger für eine «Wahnsinnsshow» und eine «Super-Performance» – auch ohne goldene Siegestrophäe.
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