Völlig euphorisch ließ sich Andreas Wellinger auf den Schultern seiner Teamkollegen hochleben und feierte im tobenden Oberstdorfer Party-Tempel seinen Traumstart in die Vierschanzentournee.
Vor tausenden schwarz-rot-goldenen Fahnen sang er ergriffen die deutsche Nationalhymne mit – der begehrte goldene Adler für den Tournee-Champion schien wenige Meter entfernt nur auf ihn zu warten. Der 28-Jährige befeuerte mit einer wahren Skisprung-Gala die Hoffnungen auf den ersten deutschen Tourneesieg seit Sven Hannawalds Erfolg 2002. «Ich bin ein bisschen sprachlos. Es ist unfassbar», sagte Wellinger in der ARD. «Vor dem Publikum zu gewinnen, das kann man nicht beschreiben.»
Ausgiebig genoss Wellinger seinen größten Triumph seit dem Olympiasieg 2018. Er setzte sich in Oberstdorf vor dem zweitplatzierten Japaner Ryoyu Kobayashi und dem Österreicher Stefan Kraft durch. Vor 25.500 begeisterten Zuschauern, die zu Party-Musik in der Arena am Schattenberg jubelten, sprang er formidable 139,5 und 128 Meter weit.
«Hammer!», kommentierte Hannawald ausgelassen Wellingers ersten Sprung. Bundestrainer Stefan Horngacher war ebenfalls begeistert. «Makellos», sagte er. «Hut ab, das hat er wirklich sehr, sehr gut gemacht.» Horngacher sprach von einer «grandiosen Leistung» und sagte auf die Frage nach abgefallenem Druck: «Ganz viel! Wenn es wirklich losgeht, fängt es in der Magengrube schon ein bisschen zu ziehen an. Da ist ein bisschen Bauchatmung gefragt.»
Wellinger bestätigt starke Form
Wellinger hatte zuvor bei der Tournee noch nie einen Wettkampf gewonnen. Insgesamt feierte er den sechsten Einzel-Weltcupsieg seiner Karriere. Den zuvor letzten deutschen Tageserfolg beim Schanzenspektakel in vier Akten hatte Geiger 2020 geholt – ebenfalls in Oberstdorf. Der Lokalmatador rutschte nach Platz vier im ersten Durchgang auch wegen schwieriger Bedingungen im zweiten Durchgang noch auf Platz sieben ab und landete damit direkt hinter Youngster Philipp Raimund. Auch Geiger freute sich mit Wellinger. «Unglaubliche Atmosphäre, wir haben einen deutschen Sieg: Was will man mehr?», sagte er.
Wellinger hat das geschafft, was viele ihm schon nicht mehr wirklich zugetraut hatten: Nach schweren und von Verletzungen geprägten Jahren ist er wieder Vorzeigeathlet des deutschen Teams. Die von Funsport begeisterte Frohnatur springt in diesem Winter konstant so stark, wie ganz lange nicht. In acht Weltcups vor der Tournee erreichte Wellinger viermal das Podest. Nur einmal schaffte es der Olympiasieger von Südkorea nicht unter die besten fünf Springer. Zum Stellenwert seines Sieges in Oberstdorf sagte er: «Für den Moment ist das mit das Größte. Das macht mich extrem stolz auch nach den letzten Jahren.»
Oberstdorf im Ausnahmezustand
Der Tourneestart versetzte die ganze Marktgemeinde in Ausnahmezustand. Schon am Vormittag zogen Fans mit Deutschland-Hüten und Fahnen durch die Straßen des sonst so beschaulichen Kurorts, in dem normalerweise rund 10.000 Menschen leben. Auch ohne Schnee feierten die Skisprung-Fans eine große Winterparty.
Schon fünf Stunden vor dem Wettkampf-Start sicherten sich die ersten Anhänger die besten Plätze in der mit 25.500 Zuschauern ausverkauften Arena. Mit lauten «Ziehhh»-Rufen feuerten sie die Springer an. Die Namen ihrer Helden brüllten sie laut heraus. «Das ist Vollalarm», kommentierte Hannawald die Stimmung begeistert.
Titelverteidiger Granerud im ersten Durchgang raus
Als Topfavorit im Kampf um den prestigeträchtigen goldenen Adler war Kraft in den Wettbewerb gestartet. Der 30-Jährige, der die Tournee 2015 bereits einmal gewann, führt im Gesamtweltcup souverän. Von acht Springen vor der Tournee gewann er fünf – unter anderem bei der Tournee-Generalprobe im schweizerischen Engelberg. Mit Platz drei zum Auftakt liegt er ebenfalls noch voll im Rennen.
Andere Topstars der Szene können das nicht von sich behaupten. Der Norweger Halvor Egner Granerud sowie die beiden Polen Dawid Kubacki und Kamil Stoch, die die Tournee in den vergangenen Jahren gewannen, haben bereits jetzt schon keine realistischen Siegchancen mehr. Titelverteidiger Granerud schied nach einem Sprung auf nur 105,5 Meter sogar bereits im ersten Durchgang aus.
Einem deutschen Springer blieb das erspart. Aus dem Horngacher-Team holten auch Pius Paschke auf Rang elf und Stephan Leyhe auf dem 24. Platz noch Weltcup-Punkte.
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