24. November 2024

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Weit weg von EM-Form: Flicks DFB-Auswahl verliert in Polen

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft sucht weiter nach ihrer Form. Nach dem 3:3 gegen die Ukraine verliert das fast komplett neu formierte Flick-Team in Polen und zeigt sich erneut verunsichert.

Hansi Flick räusperte sich kurz und verschwand nach dem Schlusspfiff, seine enttäuschten Spieler holten sich einen aufmunternden Applaus der mitgereisten deutschen Fans ab.

Die stark verunsicherte deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat sich zwölf Monate vor dem Heim-Turnier auch im zweiten von drei Testspielen nicht aus dem Stimmungstief befreien können. Auf Bundestrainer Flick, der beim 0:1 (0:1) am Freitagabend in Warschau gegen eine biedere polnische Auswahl fast eine komplett neue Mannschaft aufstellte, warten weitere Tage mit deutlicher Kritik. Beim Abschlusstest vor der Sommerpause am Dienstag in Gelsenkirchen gegen Kolumbien braucht die Nationalmannschaft nach jetzt drei sieglosen Spielen nacheinander dringend ein Erfolgserlebnis.

«Wir hatten gehofft, dass wir ein Erfolgserlebnis feiern können, das ist für mich persönlich, für die ganze Mannschaft und das ganze Land essenziell, damit wir mal in eine Aufbruchstimmung kommen», sagte Champions-League-Finalist Robin Gosens von Inter Mailand in der ARD: «Wir müssen auf der zweiten Halbzeit aufbauen.»

Fehlender Schwung in der Offensive

Vier Tage nach dem ernüchternden 3:3 gegen die Ukraine zeigte sich die DFB-Auswahl in Ansätzen stabiler und zu Beginn der zweiten Halbzeit auch offensiv ideenreicher. Die Abwehr um die von Flick zum Pflichtexperiment erklärte Dreierkette blieb aber vor 57.098 Zuschauern weiterhin anfällig. Das Gegentor durch Jakub Kiwior (31.) fiel nach einer Ecke, der polnische Starspieler Robert Lewandowski spielte nur in der ersten Halbzeit. DFB-Kapitän Joshua Kimmich traf kurz nach dem Wiederanpfiff nur die Latte (48.). «Es war nicht alles perfekt», sagte Lewandowski, «wir haben versucht, Deutschland einen schwierigen Tag zu bescheren.» 

Der langjährige Bundesliga-Torjäger Lewandowski war im Kabinengang von den deutschen Spielern noch herzlich umarmt worden, doch mit dem Anpfiff war es mit der Freundschaft vorbei. Der zweimalige Weltfußballer war bei der deutschen Dreier-Abwehrkette, in der Malick Thiaw vom AC Mailand im Zentrum ein überzeugendes Länderspieldebüt feierte und in der 78. Minute eine große Chance zum Ausgleich hatte, bis zu seiner Auswechslung gut aufgehoben. 

Nach den drei Gegentoren im nicht EM-reifen 1000. Länderspiel gegen die Ukraine zeigte die fast komplett neuformierte DFB-Defensive aber beim Rückstand erneut Schwächen. Nach einer Ecke setzte sich Abwehrspieler Kiwior im Luftduell klar gegen Thilo Kehrer durch, nach dem Kopfballaufsetzer flog der Ball über Schlussmann Marc-André ter Stegen hinweg ins Tor. Bei den folgenden Standardsituationen offenbarte die deutsche Mannschaft weitere Abstimmungsprobleme.

Jakub Blaszczykowski emotional verabschiedet

Doch auch in der Offensive fehlte es an Schwung. Auch mit Kai Havertz, der sich nach seiner starken Leistung nach Einwechslung gegen die Ukraine von Beginn an beweisen durfte, gab es im Angriff viel Leerlauf. Bezeichnend: Zwei Fernschüsse von Kehrer (23.) und Havertz (29.) waren die besten Chancen in der ersten halben Halbzeit.

Der Pole Jakub Blaszczykowski verließ schon nach 16 Minuten den Platz – doch das war eine Geste des größten Respekts. Der ehemalige Dortmunder wurde entsprechend seiner langjährigen Rückennummer nach 16 Minuten unter großem Applaus und lauten Sprechchören ausgewechselt. Der 37-Jährige hätte in seinem 109. und letzten Länderspiel beinahe für einen traumhaften Abschluss gesorgt. Doch im Laufduell gegen Thiaw war Blaszczykowski zu langsam und kam in daher nicht mehr zum Torschuss (13.).

DFB-Auswahl zielstrebiger in der zweiten Hälfte

Flick hatte neben Thiaw und Havertz sieben weitere neue Startelfspieler nominiert und die große Rotation mit damit begründet, gegen Polen und auch zum Saisonabschluss gegen Kolumbien «etwas ausprobieren» zu wollen. Champions-League-Gewinner Ilkay Gündogan von Manchester City wurde aber erneut geschont. Gündogans Ideen hätten dem deutschen Spiel sicher gutgetan. Die Youngster Jamal Musiala und Florian Wirtz zeigten im Spielaufbau zwar gute Ansätze, doch bis in den Strafraum konnte sich das Flick-Team kaum durchkombinieren. ARD-Experte Bastian Schweinsteiger kritisierte in der Halbzeitpause: «Im Spiel nach vorn fehlt Kreativität, es ist ein bisschen Ideenlosigkeit zu sehen.»

Flick dürfte in der Kabine ähnliche Worte gefunden haben, denn die DFB-Auswahl trat nach dem Seitenwechsel deutlich zielstrebiger auf. Die Einwechslung von Gosens, der schnell das 1:1 auf dem Fuß hatte (48.), machte sich bezahlt. Und Kimmich war nicht nur wegen seines Lattenschusses deutlich aktiver.

Die lange Zeit clever verteidigenden Polen, für die das EM-Qualifikationsspiel am kommenden Dienstag in Moldau deutlich wichtiger ist, gerieten nun stärker unter Druck. Ein gegen den Gastgeber gepfiffener Handelfmeter nahm Schiedsrichter Orel Grinfeld aber zurecht wieder zurück (56.). In der Schlussphase scheiterte die DFB-Auswahl mehrmals am starken Polen-Torhüter Wojciech Szczesny.

Von Jan Mies, Klaus Bergmann und Jörg Soldwisch, dpa