Ohne das Coronavirus wäre Manuel Locatelli in diesem bisher so begeisternden italienischen EM-Sommer wohl nur Zuschauer gewesen.
Doch die Pandemie katapultierte den 23 Jahre alten Mittelfeldspieler mitten hinein in die Squadra Azzurra und in diese EM. «Das war eine fantastische Partie, ich kann es noch gar nicht richtig glauben», sagte Locatelli, der beim 3:0 (1:0) der Italiener gegen die Schweiz im zweiten EM-Spiel mit zwei Toren der Matchwinner war und sein Team ins Achtelfinale führte. «Vor einem Jahr wäre ich vielleicht nicht hier gewesen. Ich bin wirklich glücklich und stolz.»
Locatelli Teil des Umbruchs
Erst im September 2020 gab der Mittelfeldspieler sein Debüt in der Auswahl von Trainer Roberto Mancini. Nur durch die Verschiebung der EM wegen der Corona-Pandemie schaffte er es überhaupt in den Turnierkader. In der Serie A liefert Locatelli für Sassuolo Calcio zwar konstant gute Leistungen, im Nationalteam hatte ihn jedoch lange kaum jemand auf dem Radar – ähnlich wie die Squadra Azzurra vor dieser EM. Locatelli ist ein junges Gesicht des Umbruchs, den Mancini nach der verpassten WM 2018 so erfolgreich eingeleitet hat.
Das Ergebnis ist ein Team aus erfahrenen Routiniers, die Stabilität geben, wie die Abwehr-Oldies Giorgio Chiellini und Leonardo Bonucci, und erfrischenden Jungstars wie Locatelli. Während es etwa in der deutschen Nationalelf bei der Neuausrichtung immer wieder hakte, geht Mancini seit drei Jahren seinen Weg sehr konsequent. Der Lohn war der zweite EM-Sieg durch den Doppelpack von Locatelli (26./52. Minute) und das zweite Turniertor von Stürmer Ciro Immobile (89.).
Squadra Azzura hat «enormes Potenzial»
Zehn Siege in Serie ohne Gegentor feierte Italien zuletzt, bei dieser EM sind es nach zwei Auftritten sechs Punkte und 6:0 Tore. Seit 29 Spielen ist dieses Team ungeschlagen, mit einem Remis oder Sieg gegen Wales am Sonntag wäre der Uralt-Rekord von 30 Partien ohne Niederlage unter Vittorio Pozzo von 1935 bis 1939 eingestellt.
Ob Chiellini dabei sein wird, wenn es gegen Wales um den Gruppensieg geht, war zunächst noch offen. Der Kapitän musste nach gut 20 Minuten verletzt raus. «Es war ein hartes Spiel, einige waren am Ende sehr müde», sagte Mancini. Zurückkehren könnte in jedem Fall Marco Verratti, dessen Knieverletzung Locatelli erst in die erste EM-Elf gespült hatte. «Er ist ein Spieler, der den Unterschied machen kann, daher freuen wir uns auf seine Rückkehr», sagte Locatelli.
Doch egal in welcher Formation, ganz auf Augenhöhe mit den Großen sieht Mancini sein Team ohnehin noch nicht. «Bei dieser EM gibt es Mannschaften wie Frankreich, Portugal, Belgien, die sind Weltmeister, Europameister oder Weltranglisten-Erster», urteilte er. «Sie haben sich über die Jahre entwickelt und haben uns einiges voraus, das ist ganz normal.» Dass er seinem Team dennoch sehr viel zutraut, machte der 56-Jährige aber auch deutlich: «Im Fußball kann alles passieren.»
Tifosi träumen von Titeln
Im Land des viermaligen Weltmeisters glauben die Fans jedenfalls an die Titel-Chance für ihre Azzurri. «Du bist wunderschön. Dieses Italien ist immer großartiger», titelte die «Gazzetta dello Sport» nach dem nächsten begeisternden EM-Auftritt. Und der «Corriere dello Sport» sah eine weitere «magische Nacht», die die Mannschaft im Teambus wieder standesgemäß mit Gianna Nanninis WM-Hit 1990 «Un’estate italiana» (Ein italienischer Sommer) feierte.
Mittendrin saß Locatelli mit seiner Trophäe für den Spieler des Spiels. «Ich habe das Gefühl, dass ich den Pokal der Mannschaft übergeben sollte. Ich bin einer der Jüngsten, aber sie haben mich sehr gut aufgenommen», sagte der von Juventus Turin umworbene Profi bescheiden. Nach seinem zwölften Länderspiel wollte er ohnehin erst einmal den Moment genießen. Spät in der Nacht schrieb Locatelli auf Twitter zu einem Jubelbild und einer kleinen italienischen Flagge: «Eine Nacht, die ich niemals vergessen werde.»
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