Hansi Flicks Pflichtverteidiger kam ein paar Minuten zu spät. Mit hochgekrempelten Ärmeln setzte sich Rudi Völler auf das gut ausgeleuchtete Podium der Fußball-Nationalmannschaft – und begann dann mit einem fünfeinhalb Minuten langen Plädoyer für den von Fans und Medien angezählten Bundestrainer.
«Natürlich wird Hansi Flick Trainer bleiben», sagte Völler mit kräftiger Stimme – und das auch bei einer möglichen weiteren Niederlage im wichtigen Stimmungstest am Dienstag (20.45 Uhr/RTL) gegen Kolumbien. «Trotz allem, auch wenn die Ergebnisse nicht gestimmt haben, ich bin immer noch optimistisch oder zuversichtlich, dass wir das hinbekommen.»
Völler: «Flick ist ein absoluter Toptrainer»
Der einstige DFB-Teamchef und Publikumsheld war als erfahrener Bundesliga-Manager natürlich vorbereitet auf die kritischen Fragen nach den ernüchternden Auftritten gegen die Ukraine (3:3) und in Polen (0:1). «Die Menschen mitnehmen, das ist natürlich nicht so gelungen, das gebe ich gerne zu. Das ist den Ergebnissen geschuldet», sagte Völler. «Aber eins ist Fakt: Hansi Flick ist ein absoluter Toptrainer! Und dazu einer, der sich stetig frage, «wie sein Team eine Top-Europameisterschaft» 2024 spielen könne, sagte Völler.
Ob dessen Auftritt am Sonntag nach dem Mannschaftstraining, an dem erstmals in dieser Länderspielphase Triple-Champion Ilkay Gündogan teilnahm, von vornherein geplant war, blieb offen. Es spielte letztlich aber auch keine Rolle. Der Sportdirektor, der zu Jahresbeginn angetreten war, um auch die Öffentlichkeit Richtung EM zu leiten, musste sich qua Amt vor Flick stellen. So lautet sein DFB-Mandat. «Auf keinen Fall» sei intern in den vergangenen Tagen über den Bundestrainer diskutiert worden, bemerkte der 63-Jährige. Und «ja, natürlich» sei er überzeugt, dass Flick auch nicht von sich aus hinschmeißen werde.
Mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf und DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watkze sei lediglich über das Spiel in Polen diskutiert worden. «Da sind wir uns alle einig, da sind wir enttäuscht, dass wir das Spiel nicht gewonnen haben», sagte Völler. «Aber noch mal: Wir sind uns alle einig, dass Hansi Flick der Richtige ist.»
Partie gegen Kolumbien «für die Fans»
Die Partie in Gelsenkirchen gegen den Weltranglisten-17. Kolumbien erhob Völler zum Spiel für die Fans, um eben diese ein Stück zu versöhnen. Zu einer Siegpflicht rang er sich aber nicht durch. «Wenn es am Dienstag nicht funktioniert, probieren wir es im September.» Dann stehen die härteren Tests gegen WM-Schreck Japan und Vize-Weltmeister Frankreich an. Anders als zu seinem Amtsantritt setzte Völler Flicks Experimente mit System und Taktik mit dem Auftrag, die Anhänger zurückzugewinnen, mindestens gleich. «Natürlich möchte man am liebsten beides», sagte der Weltmeister von 1990.
Während des Trainings bei strahlendem Sonnenschein wirkte Flick routiniert. «Die Stimmung in der Mannschaft ist aufgrund der Ergebnisse nicht gut», sagte Robin Gosens. «Aber wir sehen die Entwicklung, das lasse ich mir von keinem anders erzählen.» Ohne Trillerpfeife um den Hals versammelte Flick fast alle Nationalspieler zum Mannschaftstraining. Torwart Marc-André ter Stegen trainierte individuell. Der Leverkusener Youngster Florian Wirtz, der in der DFB-Auswahl noch keine Duftmarken setzen kann, fehlte wegen einer Prellung am Oberschenkel. Bester Torschütze im Kader ist mittlerweile Gündogan – als Mittelfeldspieler.
«Wir müssen fighten und gewinnen – das ist unser Auftrag», hatte Flick nach dem Polen-Spiel vorgegeben. Was bleibt sonst auch? Die ersten Internetportale eröffneten am Wochenende Umfragen, ob Flick noch der Richtige sei. Welche öffentliche Dynamik sich bei einem ernüchternden Remis oder gar einer Niederlage zum Saisonabschluss in Gelsenkirchen entwickeln würde, ist zu erahnen. Auch deshalb Völlers Plädoyer.
«Stehen als Mannschaft hinter ihm»
Auf die Frage, ob es die Mannschaft belaste, dass Flick medial infrage gestellt werde, antwortete Kapitän Joshua Kimmich: «Ich hatte bisher noch nicht das Gefühl. Ich hoffe, dass es den Bundestrainer auch nicht belastet, weil wir als Mannschaft stehen hinter ihm.»
Flicks Spieler tendieren auf dem für den DFB so komplizierten, schmalen Grat zwischen Ergebnisfußball und Experimenten eher Richtung endlich mal gewinnen – und am besten konstant. «Bei Argentinien oder Italien, die die letzten Turniere gewonnen haben, da war es ja nicht so, dass die in der Vorbereitung auf das Turnier angefangen haben, guten Fußball zu spielen, sondern die haben das Jahr davor sehr gute Ergebnisse erzielt», sagte Kimmich. «Das muss auch unser Ziel sein.» Der Europameister Italien und der WM-Champion Argentinien hatten ihre Fans mit Erfolgsserien schon vor den Turnieren euphorisiert.
Der DFB-Auswahl gelangen in den vergangenen 15 Spielen nur vier Siege. In der plakativen aber für Titelgewinne weniger aussagekräftigen Punkteschnitt-Tabelle aller Bundestrainer befindet sich Flick im freien Fall. «In solchen Phasen hilft nur Zusammenstehen und solange weitermachen, bis es klappt», sagte Mittelstürmer Niclas Füllkrug: «Alles andere hilft da nicht. Da hilft auch nicht, groß irgendwelche Dinge umzuschmeißen.»
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