Rudi Völler hatte seine zentrale Parole für die Herkules-Aufgabe gegen Angstgegner Frankreich mit WM-Torschützenkönig Kylian Mbappé schon ausgerufen, als er noch gar nicht als Interims-Teamchef sprach.
«Keiner darf die Hose voll haben», sagte der DFB-Sportdirektor durchgeschwitzt und «geschockt» nach dem auch für ihn «blamablen» 1:4 gegen Japan. Schon in der Wolfsburger Nacht hatte der 63-Jährige innerlich gespürt, dass es mit Hansi Flick keine blühende Zukunft bei der Heim-EM 2024 mehr geben würde.
Völler nimmt die Spieler in die Pflicht
Bei seinem Comeback auf der DFB-Trainerbank 19 Jahre nach seinem Rücktritt soll Völler am Dienstag (21.00 Uhr/ARD) in Dortmund den Absturz der Fußball-Nationalmannschaft stoppen und im Idealfall einen Stimmungsumschwung im Lande herbeiführen. Und dafür nimmt der einstige Fan-Liebling die heutige Spielergeneration, die unter Flick nicht mehr liefern konnte (oder wollte?), besonders in die Pflicht. «Wir müssen versuchen, Kredit zurückzugewinnen», mahnte Völler.
Er glaubt einfach, dass ein Team mit in vielen Champions-League-Partien bewährten Profis wie Ilkay Gündogan, Marc-André ter Stegen, Antonio Rüdiger oder Joshua Kimmich einfach mehr leisten kann und muss als bei den mittlerweile fünf sieglosen Länderspielen in der Endzeitatmosphäre unter Flick.
«Die Spieler können es ja auch, die kommen alle aus Topclubs, zeigen da auch ihre Leistung – und das erwarte ich auch am Dienstag», sagte Völler. Mit dem Bus reiste der DFB-Tross am Montag aus Wolfsburg nach Dortmund. Dort musste Völler unterstützt von U20-Auswahlcoach Hannes Wolf und Ex-Nationalspieler Sandro die total verunsicherte, aber womöglich jetzt auch von Zweifeln und Ballast befreite Mannschaft in nur einem Training auf die Franzosen vorbereiten. Ausfallen könnte Lokalmatador Niklas Süle, der wegen der bevorstehenden Geburt seines zweiten Kindes das Team zumindest vorübergehend verließ.
«Wir haben ein Spiel gegen die im Moment beste Mannschaft in Europa. Das wird natürlich schwierig», sagte Völler. Aber er fügte einen Satz im Selbstverständnis des Weltmeisters von 1990 hinzu: «Wir sind immer noch Deutschland.» Eine Fußball-Nation, hieß das im Subtext.
Verband arbeitet an der Nachfolgelösung
Völlers Teamchef-Comeback ist als einmalige Sache geplant – möglichst «zeitnah» will der Verband um DFB-Präsident Bernd Neuendorf eine Nachfolgelösung für Flick präsentieren. Namen von Jürgen Klopp bis Julian Nagelsmann werden gehandelt, egal wie wahr und vor allem wie realistisch sie sind. Groß ist der Kandidatenkreis kurz nach Saisonbeginn nicht. Völler aber könnte dem Verband mit einem Ergebnis- und Leistungs-Lichtblick gegen Frankreich wertvolle Zeit verschaffen. Im Oktober geht das DFB-Team auf USA-Reise.
Welche Sofortmaßnahmen wird der einstige Weltklasse-Stürmer ergreifen? In erster Linie dürfte Völler bemüht sein, dem Team bei der Aufstellung und der taktischen Ausrichtung Sicherheit und Stabilität zu verleihen und auf Erfahrung zu setzen. Kurzum: Keine weiteren Experimente. Zurück zum jahrelang bewährten 4-2-3-1-System, womöglich mit Joshua Kimmich (80 Länderspiele) und Ilkay Gündogan (68 Einsätze) als erfahrene Doppel-Sechs im Mittelfeld und mit DFB-Veteran Thomas Müller (122) als Reaktion auf den Mittelstürmer-Notstand. Völler benannte nach 13 Gegentoren in den vergangenen fünf Länderspielen aber vor allem ein Hauptproblem, das ihn nervt: «Wir verteidigen einfach auch schlecht.»
Die Spieler sind nun am Zug, Flick fällt als Alibi weg. «Wir müssen uns selbst hinterfragen», sagte Kimmich, der mit Blick auf die große Herausforderung gegen die Équipe Tricolore Angst strikt verneinte («Null!») und stattdessen diese Marschroute ausgab: «Es geht nicht darum, dass wir schön spielen und über Passstafetten ins Spiel kommen, sondern wir müssen alles dafür tun, dass wir gute Ergebnisse erzielen.» Mit den Fans im Rücken.
Erster Test ohne Flick gegen starke Franzosen
Eine Rückkehr zu den Basisdingen des Fußballs mahnte der Bayern-Profi an: «Uns passieren sehr viele Fehler. Dementsprechend ist es jetzt wichtig, dass wir andere Attribute auf den Platz bringen, Leidenschaft und so. Darum geht es jetzt.»
Zum Aufbaugegner taugen die Franzosen mit ihrer eingespielten Mannschaft und ihren zahlreichen Offensiv-Könnern wie Mbappé, Antoine Griezmann, Ousmane Dembélé, Randal Kolo Mouani, Marcus Thuram oder auch Bayerns Kingsley Coman sicher nicht. Mit makellosen fünf Siegen und 11:0 Toren ist die Équipe von Nationaltrainer Didier Deschamps in ihre EM-Qualifikationsgruppe gestartet, darunter ein 4:0 gegen die Niederlande.
Die letzte Niederlage und die letzten Gegentore gab es beim 3:3 im packenden WM-Finale von Katar gegen Argentinien und Lionel Messi mit der Niederlage erst im Elfmeterschießen. Da wird auch ein Völler-Comeback als Antwort nicht reichen. «Dass es so schwierig ist, hätte ich mir auch nicht vorgestellt in den letzten Wochen und Monaten», stöhnte der Sportdirektor, der eigentlich nicht mehr von der Tribüne auf die Trainerbank wechseln wollte.
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