Jetzt muss sich Hansi Flick festlegen. Wissen die Rio-Helden Mario Götze und Mats Hummels schon Bescheid? Droht Marco Reus wieder ein persönliches Turnier-Drama? Und wie oft schauen Niclas Füllkrug oder Youssoufa Moukoko gerade voller Spannung auf ihr Handy?
Am Donnerstag um Punkt 12.00 Uhr wird der Bundestrainer die seit Wochen heiß diskutierten Fragen der Fußball-Nation im Frankfurter DFB-Campus ohne jedes Brimborium beantworten. Mit der auf DFB-TV und diversen Streamingdiensten präsentierten Verkündung seiner 26 Spieler knüpft Flick seinen WM-Plan für die ehrgeizige Titelmission in Katar an konkrete Namen.
Nicht einmal Kapitän Manuel Neuer ist bislang vollständig eingeweiht. «Über den kompletten Kader haben der Bundestrainer und ich noch nicht geredet, aber der Austausch ist auf jeden Fall dagewesen», berichtete die rechtzeitig genesene Nummer eins am Mittwoch bei einem Sponsorentermin in München von Vorgesprächen. Das bittere Aus ereilte wenig später Lukas Nmecha. Wolfsburgs Angreifer kann wegen einer Knieverletzung kurzfristig nicht zur WM.
Ein großer Bayern-Block für DFB-Auswahl
Ganz wichtig für den Bundestrainer: Der starke Bayern-Block um Kapitän Manuel Neuer und weitere Anführer wie Joshua Kimmich sowie Leon Goretzka ist bereit für den Angriff mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft auf den fünften Titel-Stern. Auch Jamal Musiala, Serge Gnabry und Leroy Sané sind gerade rechtzeitig in Topform. «Wenn wir in Katar erfolgreich sein wollen, ist die Voraussetzung, dass alle Spieler topfit sind. Das ist der Fokus, den wir setzen», beschrieb Flick seine Prämisse für einen schweren Auswahlprozess. «Viel Gedankenarbeit» musste der 57-Jährige leisten, erzählte er und «viele Gespräche» führen.
«Das war auch die klare Vorstellung und klare Ansage von Hansi, dass wir uns gefälligst alle in eine gute Verfassung bringen und in eine gute Form», sagte Goretzka nach dem 6:1 der Bayern gegen Werder Bremen. Die Fitness vieler Kandidaten bleibt für Flick im engen Terminplan ohne großen Vorlauf bis zum deutschen Auftaktspiel am 23. November (14.00 Uhr/ARD und MagentaTV) gegen Japan ein Problem. Noch am Wochenende droht am letzten Bundesliga-Spieltag vor der WM-Pause weiteres Ungemach.
«Diesmal hat der Bundestrainer nicht die Möglichkeit, noch mit uns in ein zweiwöchiges Trainingslager zu fahren, sondern ist schon auf die Arbeit im Verein angewiesen, dass wir uns alle in eine gute Verfassung, in eine gute Form bringen», sagte Goretzka, der selbst erst in den vergangenen Wochen seine gesundheitlichen Malaisen überwinden konnte.
Weiter Fragezeichen um die Nominierung
Neuers Schulter hält. Das ist essenziell. «Ich spiele wieder. Ich weiß, dass alles gut funktioniert. Ich habe keine Probleme. Ich bin sehr zuversichtlich, was die Weltmeisterschaft betrifft und freue mich auf die kommenden Spiele», sagte der 36-Jährige. Aber was ist mit dem Knöchel von Reus? Der Hüfte von Thomas Müller? Oder dem Fuß von Leipzigs Verteidiger Lukas Klostermann, den Flick für die Schwachstelle hinten rechts gerne dabei hätte? Kann man das Risiko eingehen und Technik-Juwel Florian Wirtz ohne Spielpraxis nach dem Kreuzbandriss mitnehmen? Den 19 Jahre alten Leverkusener sieht Flick wohl eher als einen Kandidaten für die Heim-EM 2024.
Flick hat durch die von der FIFA erlaubte Kaderaufstockung drei Plätze mehr frei. Er muss aber auf den letzten Drücker jeden Einzelfall genau bewerten. «Ich kann den einen oder anderen nicht mitnehmen, der es auch verdient hätte», kündigte er an. Flick wird neben den körperlichen Kriterien auch auf Fakten wie das Team-Building achten. Das Wir-Gefühl steht bei ihm immer ganz weit oben. Mit dem Abflug am kommenden Montag zum Drei-Tage-Trainingscamp im Oman, aber spätestens mit dem Einzug ins WM-Quartier im Zulal-Wellness-Ressort am Nordzipfel Katars am 17. November muss die Gruppe funktionieren.
Gehört da der meinungsstarke Hummels, der von Flick für kein Länderspiel in seiner noch kurzen Amtszeit berücksichtigt wurde, dazu? «Es gibt eine klare Absprache mit ihm, wie wir verfahren in Bezug auf die WM. Aber das bleibt unter uns» lautete Flicks Haltung. Der BVB-Verteidiger, der von Joachim Löw für die EM 2021 ohne Erfolg reaktiviert worden war, hofft bis zuletzt. «Das habe ich schon ganz klar kommuniziert, dass ich jede Rolle so gut es geht ausfülle, die man mir gibt. Wenn ich dabei bin, haue ich alles in die Waagschale», sagte der 33-Jährige bei Sky.
«Grundsätzlich stellt sich hier die Frage: Nehmen wir einen erfahrenen Spieler mit nach Katar? Oder denken wir an die Zukunft, nominieren einen jungen und geben ihm die Chance, sich auf höchstem Niveau zu beweisen?», sagte Flick zum Abwehrthema. Das klang dann eher nach Armel Bella-Kotchap (20) vom FC Southampton, der im September gegen England (3:3) debütierte, als nach einer erneuten Reaktivierung von Hummels für ein Turnier.
Flick: «Die Frage Müller stellt sich nicht»
Flick wird seine persönlichen Kriterien als Ultima Ratio festlegen. Dazu gehört auch, dass der multipel angeschlagene Bayern-Anführer Müller auch ohne letzten Bundesliga-Einsatz in Katar dabei ist. «Die Frage Thomas Müller stellt sich nicht», sagte Flick schon, als er ihn in England mal auf die Bank setzte. Mit seinen 118 Länderspielen und seinem integrativen Charakter könnte der Routinier auch ohne letzte Fitness ein wichtiger Turnier-Faktor sein. Müller selbst äußerte sich noch am Dienstagabend in der Allianz Arena als Zuschauer sehr zuversichtlich: «Gut, alles in der Spur», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Das unterscheidet den Turnier-Veteranen letztlich, so bitter das ist, auch von Reus, den durch seine Knöchelverletzung wie vor der WM 2014 ein erneutes WM-Aus ereilen dürfte. Doch wie hält es der Bundestrainer mit Rio-Siegtorschütze Götze? Aktuelle Leistung und Fitness, zwei zentrale Flick-Kriterien, stimmen bei dem Neu-Frankfurter jedenfalls.
Ein Unterschied zu früheren Turnier-Nominierungen: Nach Mister X wird nicht wirklich gefahndet. Sensationen wie die Nominierung von David Odonkor 2006 oder Shkodran Mustafi 2014 werden nicht erwartet. Wochenlang wurden schon alle möglichen Kandidaten öffentlich in aller Breite diskutiert. Bremens Stürmer Füllkrug (29) und BVB-Teenager Moukoko (17) haben spätestens nach dem bitteren Verletzungsausfall von Top-Stürmer Timo Werner tatsächlich gute Chancen auf einen erfreulichen Flick-Anruf.
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