Fast regungslos liegt Barnabás Varga im Strafraum, er atmet schwer, seine Finger zucken. Ungarns Kapitän Dominik Szoboszlai erkennt den Ernst der Lage sofort und versucht hektisch, die Ärzte herzubeordern. Es sind wenige Augenblicke, die sich in der Stuttgarter Arena wie eine Ewigkeit anfühlen und schreckliche Erinnerungen wachrufen.
Bei der Fußball-EM vor drei Jahren hatte der dänische Mittelfeld-Star Christian Eriksen nach einem Herzstillstand auf dem Feld um sein Leben gekämpft – Millionen Fans bangten am Fernseher mit, mehrere Tausend im Stadion. Auch am Sonntagabend, als sich Mediziner noch auf dem Feld um den Ungarn kümmern, denken viele an den Eriksen-Vorfall.
Anders als der Däne, der inzwischen wieder auf dem Feld brilliert, ging Varga nach einem unglücklichen Zusammenprall mit Schottlands Torhüter Angus Gunn zu Boden. Szoboszlai war als Erster bei seinem im Gesicht schwer verletzten Mitspieler und haderte nach Abpfiff mit dem Einsatz der Sanitäter. «Ich weiß nicht, wie die Abläufe funktionieren. Aber wenn unser Arzt sagt, er braucht Hilfe, dann muss es schnell gehen. Sekunden können in so einer Situation sehr viel ausmachen», sagte der Liverpool-Profi über die dramatische Situation. Die UEFA erwiderte, dass es keine Verzögerungen im Rettungs-Ablauf gegeben habe.
Den Umständen entsprechend gut
Varga erlitt laut Angaben der ungarischen Delegation vom Montag mehrere Frakturen im Gesicht und eine Gehirnerschütterung. Ein chirurgischer Eingriff sei am Montag durchgeführt worden, bestätigte sein Vater András Varga der ungarischen Sporttageszeitung «Nemzeti Sport». Laut Freundin Laura gehe es Varga nach dem Eingriff den Umständen entsprechend gut, wie sie ungarischen Medien mitteilte.
«Es ist unmöglich zu beschreiben, was wir gefühlt haben, die ganze Sache war ein Alptraum, ich möchte nicht einmal darüber reden», sagte Vargas Partnerin. Voraussichtlich am Mittwoch soll der 29-Jährige die Klinik wieder verlassen, hieß es von seinem Team.
Schon in der Nacht habe sich der Fußballer wieder in einem stabilen Zustand befunden. Der Schock über die Geschehnisse saß dennoch tief. Das 1:0 durch ein ganz spätes Tor rückte in den Hintergrund. Den Last-Minute-Sieg, der zum Weiterkommen bei dem Turnier in das Achtelfinale reichen könnte, widmeten die Magyaren ihrem schwer verletzten Teamkollegen.
«Viele dachten, er sei bewusstlos»
Varga war mehrere Minuten nach dem Vorfall mit einer Halskrause sowie unter Sichtschutz und Applaus von den Zuschauern aus dem Stadion in ein Krankenhaus in Stuttgart gebracht worden. «Viele dachten, er sei bewusstlos. Er war nicht mehr er selbst», erklärte Coach Marco Rossi. «Deswegen waren auch alle besorgt.»
Das traf vor allem auf Szoboszlai zu, der meinte, dass es zu lange gedauert habe, bis die Helfer bei Varga waren. Er forderte Anpassungen im Ablaufprotokoll. «Das muss viel schneller gehen», sagte der 23-Jährige über das zögerliche Eingreifen der Rettungshelfer, die nicht direkt auf den Platz gestürmt waren. «Es ist nicht meine Entscheidung, aber wir müssen etwas ändern.» Auch Willi Orbán von RB Leipzig meinte: «Ich glaube, dass es in der Kommunikation und in der Umsetzung schneller gehen könnte.»
Die UEFA erkannte derweil kein Fehlverhalten. «Die Koordination zwischen dem gesamten medizinischen Personal vor Ort war professionell, alles geschah in Übereinstimmung mit den geltenden medizinischen Abläufen. Es gab keine Verzögerung bei der Behandlung und Betreuung des Spielers», teilte der Verband am Montag auf Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur mit.
Spätester EM-Siegtreffer in der regulären Spielzeit
«Es war furchtbar, ein grausamer Moment», sagte Roland Sallai vom SC Freiburg, der das späteste Siegtor in der regulären Spielzeit bei einer EM von Kevin Csoboth einleitete (90. +10). Als Gruppendritte haben die Ungarn noch die Chance, ins Achtelfinale einzuziehen. «Wir haben für ihn gekämpft, wollten für ihn gewinnen», sagte Sallai über Varga.
Er und seine Mitspieler posierten nach dem Abpfiff mit Vargas Trikot mit der Nummer 19 vor den Fotografen. In Gedanken waren Sallai, Szoboszlai und Co. bei ihrem Teamkollegen im Krankenhaus.
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