Beim Interview-Termin in einer VIP-Loge des Stadions an der Alten Försterei trinkt Oliver Ruhnert ein Wasser ohne Kohlensäure. Prickelnd ist das Leben des Managers von Union Berlin gerade genug. Die Bundesliga-Tabellenführung der Eisernen erstaunt die Fußball-Nation.
Der Titel seines nun erscheinenden Buches «Das Geheimnis seines Erfolgs, Vom Sauerland über Schalke zu Union» ist Ruhnert dennoch ein wenig unangenehm.
Was ist einfacher, ein Buch zu schreiben oder einen cleveren Transfer abzuwickeln wie zum Beispiel den von Andras Schäfer, für den Sie in der Branche bewundert werden?
Oliver Ruhnert: Mehr Nerven gekostet hat mich dieses Buch. Bei den anderen Dingen bist du darauf vorbereitet, dass immer was passieren könnte. Der Andras-Schäfer-Transfer war einfacher.
Mit Union sind Sie auf der ganz großen Erfolgswelle. Welche drei Worte fallen ihn dazu als Erstes ein?
Ruhnert: «Völlig verrückte Geschichte.» Das sind die drei Worte. Nehmen wir den Titel des Buches. «Das Geheimnis seines Erfolges». Das hat mich wirklich beschäftigt. Das war eine Thematik, mit der ich Probleme hatte. Als wir damit angefangen haben, waren wir noch nicht einmal in der Conference League. Und letztlich kam die Europa League on top, dass sich das Ganze erfolgreich weiterentwickelt hat. Das sind Dinge, die kannst du ganz schwer greifen.
Wo sind die strukturellen Grenzen von Union?
Ruhnert: Man muss auch immer aufpassen. Wir tanzen jetzt auf drei Hochzeiten, wenn du Liga, Europapokal, den DFB-Pokal nimmst. Das ist schon verrückt. Die strukturellen Grenzen sind darin begründet, dass man noch eingeschränkt ist, was die Stadionkapazität angeht, was die finanziellen Möglichkeiten betrifft.
Kommt also irgendwann zwangsläufig der Absturz?
Ruhnert: Wir sind auf einer Überholspur und das schon seit einigen Jahren. Diese Überholspur muss man irgendwann verlassen, weil man überholt wird. Wir versuchen natürlich, solange auf dem Gaspedal zu bleiben, wissen aber auch, dass der Tank bei den drei Wettbewerben irgendwann zu Ende sein wird. Das muss den handelnden Personen klar sein. Nur so können wir Mannschaft und Umfeld sensibilisieren. Nur so werden wir in der Lage sein, gesund weiterzuwachsen.
Sie reden nicht vom Titel. Aber ab wann ist die Saison für Sie ein Erfolg?
Ruhnert: Ich schaue immer auf die Punktzahl und nicht auf den Tabellenplatz. Es ist, auch wenn man es nicht hören will, eine schöne Momentaufnahme. Du hast aber nur was von dem, was hinten steht, bei den Punkten. Wir müssen so fokussiert bleiben, dass die Ziele, die in der Kabine aushängen, die die Mannschaft sich selbst gegeben hat, diese 40 Punkte zu erreichen, als allererstes Ziel genannt werden.
Sie sind in Ihrer Heimat Iserlohn auch politisch aktiv. Wären Sie auch in Berlin – also im Bundestag – gelandet, wenn sie in dem Bereich Karriere gemacht hätten? Und welches Amt würden sie bekleiden?
Ruhnert: Irgendwo hätte ich da eine große Lust zu gehabt. In der Politik kommen manche Menschen zu Jobs, weil das im Parteienproporz so sein muss. Eigentlich ist es unser wichtigstes Organ, der Bundestag. Es wirkt sich auf das Leben aller Menschen aus, welche Entscheidungen da getroffen werden. Aber wir haben da kein Scouting, da kann jeder der sich berufen fühlt, einen Posten übernehmen.
Wie meinen Sie das?
Ruhnert: Wenn ich einen Kamin in Betrieb nehme, macht das jemand, der dafür zertifiziert ist. Wenn ein Klo verstopft ist, hole ich nicht den Metzger. Und bei uns wirst du vielleicht sogar Minister, ohne dass du dafür fachlich qualifiziert sein musst. Das sind so Dinge, die ich nicht verstehe. Ich wüsste nicht in welcher Position ich wäre, ich wüsste zumindest, dass ich nicht irgendwo im großen Kreis von Abgeordneten wäre, sondern gehört werden wollte und Leute finden würde, die einen Kurs mitgehen wollen.
Also ist eine Karriere im Bundestag noch vorstellbar?
Ruhnert: Ich schließe das nicht aus. Ich bin keine 40 mehr, ich bin auch noch keine 70. Lust ja, keine Frage. Die Wahrscheinlichkeit, das nochmal zu tun, halte ich für gering, zumal ich mich dann nochmal nach Berlin verändern müsste. Wenn es überhaupt etwas in dieser Super-Liaison mit Union zu bemängeln gibt, dann ist es die räumliche Distanz zu meinem Sauerland.
In Ihrem Buch spricht Ihre Partei-Kollegin Sahra Wagenknecht von den unterschiedlichen Welten Politik und Fußball. Hat sie recht?
Ruhnert: Es gibt die Blase Profifußball, wo wir uns in einem elitären Raum bewegen. Die Blase heißt häufig, man vergisst die Probleme der anderen. Wenn fünf Euro nicht viel sind für uns, müssen wir wissen, dass acht oder zwölf Euro für andere, die hier herkommen zum Fußball, viel Geld ist. In der Politik ist das nicht anders. Man muss sagen, beide Bereiche verlieren manchmal den Bezug zur Wirklichkeit. Von daher glaube ich, dass es Parallelen gibt. Beides hat einen riesigen gesellschaftlichen Einfluss.
Sie sind von Ihrer Mutter politisch sozialisiert worden, in einem sozialdemokratischen Umfeld. Inwiefern bestimmt dies heute noch Ihre Arbeit im Fußball?
Ruhnert: Wir sind alle irgendwie groß geworden, die Dinge, die wir gespeichert haben, die haben uns geprägt. Ich bekomme viele Einladungen zu Galas, wo ich früher nie gewesen wäre. Es sind schöne Sachen, es gibt gutes Essen, aber ich fühle mich in den Kreisen bis heute nicht großartig wohl. Ich brauche das nicht. Ich will gut leben, ich möchte reisen und die Welt genießen. Aber ich habe gelernt, dass man versucht, allen Menschen gleich zu begegnen. Es gibt nicht Menschen erster oder zweiter Klasse. Das will ich mir bewahren, auch wenn ich nach außen scheinend in einer privilegierten Stellung bin.
Fühlen Sie sich als Außenseiter im Profifußball?
Ruhnert: Als Außenseiter nicht, ich glaube auch, dass ich von meinen Kollegen sehr respektiert werde. Ich fühle mich eher als aussterbende Art, so wie ich in den Bereich reingekommen bin. Ich fühle mich als jemand, der deutlich häufiger Dinge hinterfragt, der nicht ganz einfach ist.
Da geht es Ihnen wie Union als Bundesligist?
Ruhnert: Vielleicht wäre das am Anfang so gewesen. Unser Präsident hat nach dem Aufstieg immer gesagt, man kommt sich vor wie am Katzentisch. Da haben die anderen gesagt, schön, die sind mal da. Jetzt sind wir nicht mehr am Katzentisch.
Sind Sie der aktuell beste Bundesliga-Manager?
Ruhnert: Ich habe viele Kollegen, die ich sehr schätze, die ebenfalls hervorragende Arbeit machen. Manchmal frage ich mich selbst, was machst du eigentlich gut. Ich weiß ja nicht, wie und was die Manager-Kollegen machen. Natürlich bringst du eine andere Erfahrung mit. Ich habe nicht in der Bundesliga gespielt und die Erfahrung gehabt, vor 60 000 Zuschauern einen Elfmeter zu schießen. Aber du bringst die Erfahrung mit ein, dass du weißt, wie Mannschaften in den Basics funktionieren.
Sie sind nie aus freien Stücken von einem Verein weggegangen. Sind Sie eine treue Seele?
Ruhnert: Ich gehe nie mit dem Ziel irgendwohin, da wieder wegzugehen. Das war noch nie der Fall. Mir haben Kollegen oft gesagt, du musst da jetzt weg. Bei Union schon vor zwei Jahren. Du bist am Punkt, mehr geht nicht. Das mag so sein, in der Überlegung vieler Leute. Meine ist das nicht. Mir macht die Arbeit Spaß und ich verdiene hier gut. Ich muss nicht irgendwo anders hingehen, um noch mehr zu verdienen. Das macht mich vielleicht reicher, aber nicht glücklicher. Mir war nie wichtig, was danach kommt. Es kam immer von alleine.
Und was kommt nach Union Berlin?
Ruhnert: Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Union Berlin als Manager, wie ich es jetzt mache, meine einzige Station im Profifußball ist.
Wie entspannen Sie?
Ruhnert: Was im Moment viel zu kurz kommt, ist, dass ich zwischen den Spielen Abstände habe. Ich komme nicht dazu, als Schiedsrichter zu pfeifen. Ich merke jetzt, wie wichtig mir das eigentlich ist. Sonntags mal herauszukommen, ein Spiel bei den Amateuren zu pfeifen. Das ist ein wunderbarer Cut. Abschalten ist für mich momentan, mich aufs Sofa setzen und fernsehen. Ansonsten versuche ich nach dem 14. November, wenn die WM-Pause beginnt, herauszugehen und Urlaub zu machen. Man muss auch mal auftanken.
Welche Biografie eines Manager-Kollegen würden Sie gerne mal lesen?
Ruhnert: Es würde mich schon mal interessieren zu lesen, wie so der Kollege beim FC Bayern München Dinge empfindet. Ich würde auch gerne wissen und lesen, wie so die Kollegen denken, die deutscher Meister geworden sind, wie Horst Heldt beim VfB Stuttgart.
Denken Sie manchmal daran, wie ihr Leben gelaufen wäre, wenn Sie doch Lehrer und nicht Fußball-Manager geworden wären?
Ruhnert: Beim Lesen des Buches habe ich manchmal gedacht, du hast echt Glück gehabt. Es waren viele Punkte dabei, wo du auch selbst gedacht hast, mach mal Schule. Da hätte ich auch Spaß dran gehabt. Denn zwischendurch warst du in einer Situation, wo es finanziell eng war und du gucken musstest, wie du über die Runden kommst. Aber wenn du jetzt an die Schule gehst, hast du den Fußball nicht mehr. Es ist alles sehr irrational.
Und welches Buch lesen Sie im Moment?
Ruhnert: Im Moment komme ich nicht einmal dazu, ein Buch zu lesen. Abschalten ist trivial, einfach vor den Fernseher setzen und irgendeinen Blödsinn gucken und dann dabei einschlafen, wach werden und nicht wieder einschlafen können. Das ist eher das Problem, weil dir dann wieder alles durch den Kopf geht.
Zur Person:
Oliver Ruhnert (50) schaffte es als Fußballer in die Reserve-Elf von Schalke 04. Bei Königsblau wurde er nach Trainerstationen in Gütersloh und Iserlohn später Chefscout und Leiter der Jugendakademie Knappenschmiede. Bei Union Berlin wurde er 2017 zunächst Chefscout später Geschäftsführer Profisport. Mit ihm gelang den Eisernen der Aufstieg vom Zweitligisten zum Europacup-Teilnehmer und Bundesliga-Tabellenführer. Neben seiner Tätigkeit in Berlin ist Ruhnert auch Fraktionschef der Partei Die Linke im Iserlohner Stadtrat und Amateur-Schiedsrichter.
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