Abseits des Rampenlichts wichen bei den deutschen Turnerinnen die Tränen der Freude kurz denen der Wehmut.
Dem Glück und dem Stolz über die mit Bronze erste Mannschaftsmedaille bei einer Europameisterschaft stand in den unterirdischen Gängen der Münchner Olympiahalle der Abschiedsschmerz gegenüber, den das Karriereende von Kim Bui auslöste. «Ich will noch gar nicht daran denken, wie es ist ohne Kimi», sagte ihre Teamkollegin und beste Freundin Elisabeth Seitz, brach spontan in Tränen aus und umarmte sie.
Die 33-jährige Kim Bui trocknete sich ebenfalls mit einem Taschentuch die Tränen, die über ihre Wangen rollten. Während des Wettkampfes hatte sie die Gefühle noch unterdrückt, als der Hallensprecher ihre letzte Bodenübung ankündigte. «Bis dahin bin ich so fokussiert gewesen. Die Aufgabe war, fürs Team fokussiert zu sein. Ich war da so im Tunnel drin», sagte die Stuttgarterin.
Gemeinsam mit der deutschen Rekordmeisterin Seitz, Emma Malewski und Pauline Schäfer-Betz sowie Sarah Voss (Köln) hatte Kim Bui zuvor für ein Novum gesorgt: Erstmals gewann eine deutsche Frauen-Riege eine Mehrkampf-Medaille bei einer EM. «Es ist eines der schönsten Gefühle, momentan zu wissen, dass wir das gemeinsam als so tolles Team erreicht haben. Wir haben uns gemeinsam durch diesen Wettkampf getragen», sagte Bui. Mit 158,430 Punkten im Vierkampf musste sich die DTB-Riege nur Italien (165,163) und Großbritannien (161,164) geschlagen geben.
Keine Zeit zum Genießen
Viel Zeit, den Coup zu genießen, blieb dem deutschen Quartett nicht. Mit den Medaillen um den Hals musste es gleich zum Podiumstraining für die Gerätefinals zum Abschluss der Frauen-Wettbewerbe am Sonntag. Bui und Seitz hatten sich für den Endkampf der besten Acht im Stufenbarren qualifiziert, Malewski und Schäfer-Betz für das Finale am Schwebebalken. «Ich erwarte nichts, ich will keinen Druck aufbauen», sagte Bundestrainer Gerben Wiersma.
Aus dem Quintett des Deutschen Turner-Bundes (DTB) hatte lediglich Sarah Voss ein Gerätefinale verpasst. Die Kölnerin, gehandicapt durch eine Verletzung in der rechten Wade, glänzte jedoch im Team-Mehrkampf. Am letzten Gerät, dem Sprung, trat sie als Letzte an und wusste, dass die Medaille an ihrer Wertung hing. Im Gegensatz zur Qualifikation wagte sie einen schwierigeren Sprung. «Unser Bundestrainer hat entschieden: All in. Ich habe gesagt: All in, alles klar. Das schaffen wir», sagte die 22-Jährige.
Als sie dann ihren Sprung tadellos in den Stand setzte, brachen alle Dämme. Die deutsche Mehrkampf-Meisterin schrie noch auf dem Podium ihre Freude heraus, ihre Teamkolleginnen fielen sich mit Tränen in den Augen in die Arme. «Ich glaube, man hat es mir angesehen, ich habe alles gefühlt gleichzeitig: Es war Erleichterung, es war Freude, es war Begeisterung, es war alles. Ich hatte vom ersten Schritt bis zur Landung das Gefühl, dass mein Team mich da durch schreit, über den Tisch schweben lässt. Es war so ein spezieller Moment, es waren alle Gefühle, die man haben kann», sagte Voss über ihren Gefühlsausbruch.
Nicht frei von Patzern, aber nervenstark und mit dem viel beschworenen Teamgeist turnte sich die deutsche Riege durch das Mannschaftsfinale. «Jeder wusste, dass wir einen gestärkten Rücken haben durch das Team. Das war heute ausschlaggebend», sagte Schäfer-Betz. Als der Coup vollbracht war, bestiegen die überglücklichen Turnerinnen mit der deutschen Fahne über den Schultern noch einmal die Anlaufbahn zum Sprung, animierten die begeisterten Fans zur La Ola und wurden auf der Ehrenrunde mit stehenden Ovationen gefeiert. «Es war unglaublich, heute hier zu turnen. Man hat gemerkt, dass die Halle bebt», sagte Schäfer-Betz.
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