Diese plötzliche Star-Nähe schreckte auf. Im noblen Fünf-Sterne-Ressort der Schotten machten einige gut betuchte golfende Gäste Bekanntschaft mit einem bestens gelaunten Fußball-Nationalspieler.
«Ich habe meine ganze Energie aufgewandt, um Golfer im Hotel zu stören. Keinem von ihnen ist ein erfolgreicher Putt geglückt, aber sie haben es entspannt und gut gelaunt hingenommen», berichtete Braveheart-Leistungsträger John McGinn in den EM-Tagen aus dem Quartier im englischen Darlington.
Bei seinem Jux gab sich McGinn, natürlich mit dem corona-notwendigen Abstand, zudem recht freizügig: «Als einer von ihnen kurz vor einem erfolgreichen Putt war, bin ich mit freiem Oberkörper herumgelaufen – und der Boss hat mich erwischt. Das war vielleicht ein bisschen zu viel», witzelte der Mann von Aston Villa.
Vieles läuft nur online ab
Solch lustige Anekdoten haben bei der Europameisterschaft in Pandemie-Zeiten Seltenheitswert. Das Turnier wird nicht nur als besonderes in elf Ländern, sondern auch als ein digitales in die Fußball-Geschichte eingehen. Pressekonferenzen oder Interviews – vieles läuft online ab. Abgeschirmt finden die Trainingseinheiten statt, echte Autogrammstunden oder Fan-Aktionen mit Nähe sind angesichts der Corona-Gefahren nicht angebracht. Einige Teams, wie etwa Robert Lewandowskis Polen, nutzen die Beschränkenungen, um sich besonders stark und ohne große Medientermine abzuschirmen.
Regelmäßige Tests, das Einhalten eines strengen Hygienekonzepts und das Leben abseits der Öffentlichkeit kosten Fannähe. Das ist derzeit aber alternativlos. Infektionen können das EM-Konstrukt schnell zum Wanken bringen. Notgedrungen fügen sich die Stars.
Glücksmoment für DFB-Spieler
Auch das DFB-Team lebt wie alle in einer sogenannten Blase: Umso glücklicher waren Joshua Kimmich & Co., dass sie nach dem 4:2 gegen Portugal ihre Liebsten wenigstens kurz im Stadion sahen. «Das geht an der freien Natur. Alle sind getestet, alle haben Masken auf. Das war ja alles corona-konform», sagte Jung-Vater Kimmich. Er räumte ein, dass die Ausnahmesituation belastend sei.
Ganz anders als bei der engen Fanbeziehung etwa beim WM-Sommermärchen 2006 in München müssen Schaulustige dieser Tage schon viel Glück haben, um ihre bewunderten Nationalspieler zum Beispiel beim überraschenden Spaziergang im Englischen Garten nahe des Teamhotels Hilton Park zu erspähen. Ein paar Fußgänger und Radfahrer kamen in den Genuss und zückten schnell ihre Smartphones – während im Hintergrund ein Rasenmäher laut knatterte.
Ähnliches gilt für die Italiener, die durch den Garten der Villa Borghese schlenderten. Oder Portugals Team um Superstar Cristiano Ronaldo, der sich in Budapest mit den Kollegen die Füße rund um das Teamhotel auf der Margareteninsel vertrat. Fans müssen zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein, um ihre von Sicherheitspersonal abgeschirmten EM-Helden zumindest sehen zu können.
Zunehmende Entfremdung der Teams?
Mancherorts wird über eine zunehmende Entfremdung von den Teams gesprochen. «Wir haben uns oft mit den Fans getroffen und wir sind die ersten, die das auch jetzt gerne machen würden. Aber es geht wegen der Corona-Pandemie nicht», sagte der spanische Champions-League-Sieger César Azpilicueta vom FC Chelsea.
In Italien ist eine Entfremdung in der aktuellen EM-Euphorie dagegen nicht zu spüren. Reihenweise Anhänger versuchten – in der Regel mit corona-konform getragener Maske – hinter einer Absperrung vor dem Teamhotel ein Autogramm zu erhaschen. Ihre Lieblinge kamen – natürlich erst recht mit Maske – und versuchten, Abstand zu wahren.
Das stellt die Nationalmannschaften auch bei ihren vielen Reisen vor eine schwierige Prüfung. «Das war nicht einfach, Baku, dann Italien, jetzt Amsterdam. So ein Turnier sieht aus wie eine gute Idee, aber logistisch ist es ein absoluter Alptraum, mit Covid noch dazu», sagte Wales-Trainer Robert Page – eine Art Reise-Europameister mit den Briten.
Der erzwungene Abstand zu den Fans beschleunigt die ohnehin schon große Entwicklung zum interaktiven Miteinander in den Sozialen Medien. Englands Nationalteam organisierte dort etwa Termine für Anhänger, bei denen diese ihren Stars Fragen stellen konnten.
«Wir haben keinen realen Kontakt, aber versuchen über die Sozialen Medien in Kontakt zu bleiben. Das ist ein guter Weg», sagte Kroatiens Nationalspieler Nikola Vlasic. Der Bruder der zweimaligen Hochsprung-Weltmeisterin Blanka Vlasic brachte das zum Ausdruck, was eigentlich alle Stars wieder spüren wollen: Dauerhaft knisternde Stadionatmosphäre – und zumindest etwas mehr Fannähe. «Ich hoffe, dass in Zukunft die Normalität zurückkommt und wir wieder in der Lage sein werden, zusammen Siege zu feiern.»
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