Es wäre die spektakulärste Trainer-Wende im deutschen Fußball. Thomas Tuchel könnte trotz der beschlossenen Trennung für diesen Sommer doch länger beim FC Bayern München im Amt bleiben.
Nach der bislang missglückten Suche nach einem Nachfolger für den 50-Jährigen ist dessen Weiterbeschäftigung dem Vernehmen nach mehr als nur ein Gedankenspiel an der Säbener Straße. Dass Tuchel-Berater Olaf Meinking am Vereinsgelände auftauchte, befeuerte die Spekulationen.
Was für einen Verbleib Tuchels bei den Bayern spricht:
Absagen und Alternativen
Bayerns Suche nach dem Tuchel-Nachfolger ist bislang erfolglos. Wunschkandidat Xabi Alonso sieht seine Zukunft weiter bei Meister Leverkusen, Julian Nagelsmann bleibt lieber Bundestrainer und Österreichs Nationaltrainer Ralf Rangnick sagte ab, als der FC Bayern von ihm als neuem Coach ausging. Der frühere Wolfsburg- und Frankfurt-Coach Oliver Glasner kommt auch nicht nach München, Roberto De Zerbi bekannte sich zu Brighton & Hove Albion. Die Verpflichtung des einstigen Weltstars und Real-Madrid-Erfolgscoachs Zinédine Zidane – bei dem es sprachliche Barrieren gegeben hätte – wurde bislang kein ganz heißes Thema.
Geld
Die Bayern würden bei einem Tuchel Verbleib einige Millionen Euro sparen, da sie keine weitere Abfindung und parallel einem neuen Trainer ein üppiges Gehalt zahlen müssten. Stattliche Summen mussten die Münchner bereits den früheren Vorständen Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic sowie dem ehemaligen Coach Nagelsmann und dessen Trainerteam zahlen.
Fürsprecher
Kapitän Manuel Neuer, Sprachrohr Thomas Müller, Torjäger Harry Kane und Nationalspieler Jamal Musiala sollen sich für Tuchel starkgemacht haben. Von den Fans wurde Tuchel zuletzt auch bejubelt, etwa nach dem Halbfinal-Aus in der Königsklasse bei Real Madrid. Erfolge und gute Leistungen könne man nur gemeinsam erreichen, sagte Tuchel zum Miteinander. «Man hat auch gespürt: Das geht nur zusammen mit Trainerteam, Mannschaft und Publikum.»
Finale Leistungssteigerungen
Zwei starke Spiele gegen Arsenal, zwei überzeugende Auftritte gegen Real Madrid – der unglücklich gestoppte Weg ins Champions-League-Endspiel sorgte für reichlich Pluspunkte in der Bewertung der Tuchel-Arbeit. Seine taktische Herangehensweise in den K.o.-Duellen gegen die Spitzenclubs aus England und Spanien gefielen Stars und Bossen. Und das in einer Saison, in der viele Ausfälle dafür sorgten, dass der Kader nicht sein komplettes Leistungsniveau entfalten konnte.
Sportvorstand Max Eberl
Als Eberl kam, war die Trennung von Tuchel zum Saisonende schon beschlossene Sache. Der 50 Jahre alte Sportvorstand ließ sich in der Tuchel-Debatte stets die Optionen offen. Statt etwas auszuschließen oder zu bekräftigen, verwies Eberl auf die bereits zu seinem Amtsantritt geschlossene Vereinbarung. «Ich glaube, dass das gut werden könnte», sagte Tuchel über das Miteinander mit seinem neuen Chef. Eberl könnte Tuchel auch in der Tagesarbeit zusammen mit Sportdirektor Christoph Freund den Rücken frei halten.
Was gegen einen Verbleib Tuchels bei den Bayern spricht:
Kehrtwende
Kann das gut gehen? «Wir sind in einem offenen, guten Gespräch zu dem Entschluss gekommen, unsere Zusammenarbeit zum Sommer einvernehmlich zu beenden. Unser Ziel ist es, mit der Saison 2024/25 eine sportliche Neuausrichtung mit einem neuen Trainer vorzunehmen», sagte Vorstandschef Jan-Christian Dreesen im Februar. Kann so eine Neuausrichtung auch mit dem Trainer gelingen, den man eigentlich nicht mehr haben wollte? Bei den nächsten Misserfolgen dürfte es eine heftige Debatte geben.
Uli Hoeneß
Vor den Halbfinal-Duellen mit Real Madrid bemängelte Ehrenpräsident Hoeneß bei einem öffentlichen Auftritt die Arbeit von Tuchel bei der Entwicklung von jungen Spielern. Tuchel fühlte sich in seiner «Trainer-Ehre» verletzt, die «Anschuldigungen» seien «meilenweit» von der Realität entfernt. Hoeneß ist zwar nicht mehr für das operative Geschäft des Clubs verantwortlich, als Aufsichtsratsmitglied und Mr. FC Bayern aber weiter sehr mächtig.
Kritik
Tuchels direkte Art kommt nicht bei allen gleich gut an. «Jetzt gibt dir das als Trainer auf jeden Fall ein paar Prozente an Entscheidungsspielraum, wo du ein bisschen rücksichtsloser sein kannst», sagte er nach der Februar-Entscheidung zum vorzeitigen Vertragsende. Die Klarheit brachte Tuchel Freiheit in seinen Entscheidungen und Aussagen. Etwa, als er Kritik an Team oder Stars übte.
Schon im Sommer eckte er an. Er heizte Spekulationen um einen Abgang von Leon Goretzka an. Die fortwährenden Forderungen nach einer «Holding Six» waren nicht zugunsten des letztjährigen Mittelfeldchefs Joshua Kimmich, der mittlerweile rechts hinten verteidigt. Auch als er gleich nach wenigen Wochen im Amt den Begriff der «Thomas-Müller-Spiele» prägte, sorgte das für Unruhe.
Alternativen
Die hat Tuchel sicher. «Ich werde alles in Ruhe überlegen. Ich werde mir die Zeit nehmen», sagte er vor dem letzten Bundesliga-Heimspiel. Der 50-Jährige gilt als Kandidat auf den Trainerposten bei Manchester United, wo Erik ten Hag stark in der Kritik steht. Die Premier League schätzt Tuchel ohnehin besonders – zumal in England Trainer deutlich mehr Macht und Gestaltungsspielraum haben.
Tuchels Vorstellungen
Tuchel ist es wichtig, nach all den Absagen möglicher Nachfolger nicht wie eine Notlösung zu wirken oder nur ein Übergangskandidat zu sein. Er dürfte daher einen Vertrag über das ursprünglich vereinbarte Ende im Juni 2025 wollen. Ist das im Aufsichtsrat durchsetzbar? Tuchel dürfte darüber hinaus ein Mitspracherecht bei Transfers haben wollen. Stellt der Coach damit zu viele Forderungen? Was kann der FC Bayern erfüllen?
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