Die Position als deutsche Nummer eins hat sich Alexander Zverev an seinem Wohlfühlort Genf kurz vor Beginn der French Open trotz seiner Formkrise zurück erkämpft.
Ansonsten wird der Olympiasieger jedoch von reichlich Fragezeichen zum ersten Auftritt im Stade Roland Garros seit dem Verletzungsdrama begleitet. Anders als noch 2019 blieb ihm auch der Turniersieg bei den Geneva Open verwehrt, beim 6:7 (3:7), 3:6 gegen den chilenischen Außenseiter Nicolás Jarry setzte es im Halbfinale die nächste Enttäuschung.
Das Ziel war eigentlich ein anderes: «Den Rhythmus zu finden, Selbstvertrauen, Gewinnen – das ist wichtig, umso mehr vor zwei Wochen wie in Paris», sagte Zverev über das Turnier in Genf, das er für die dringend benötigte Matchpraxis vor dem am Sonntag beginnenden französischen Sandplatzklassiker in sein Programm genommen hatte.
«Schlechtestes Tennis seit 2015, 2016»
Die Bilder des Vorjahrs hat jeder Tennisfan noch im Kopf: Zverev knickt heftig um, liegt schreiend und mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem roten Sand. Mit dem Rollstuhl wird er vom Court Philippe-Chatrier geschoben, humpelt an Krücken begleitet von Halbfinal-Gegner Rafael Nadal zurück. Der Hamburger wird später am kaputten Knöchel operiert, es folgen monatelange Reha, zähes Ringen um die alte Form, Konstanz und das frühere Selbstverständnis eines Profis auf dem möglichen Weg zu seinem ersten Grand-Slam-Turniertriumph.
«Ein Jahr im Tennis ist verdammt lang, das weiß Sascha am besten», analysierte Boris Becker die veränderte Ausgangslage für Zverev. «Ein Jahr später ist er fair gesehen nicht unter den ersten Acht der Favoriten, so brutal ist der Tennissport.»
Mitte April glaubte Zverev in München noch, er sei nur «ein, zwei Prozent» von seiner Topform entfernt. Einen Monat später wähnte er sich nach der dortigen Auftaktniederlage, einer Klatsche gegen Carlos Alcaraz in Madrid und einem weiteren Achtelfinal-Aus in Rom «immer noch 1000 Kilometer weit entfernt», bescheinigte sich das «schlechteste Tennis seit 2015, 2016».
Die Wahrheit dürfte irgendwo dazwischen liegen. Auch in Genf, wo er sich vor vier Jahren mit dem Titelgewinn aus einer Misere heraus gespielt hatte, schaffte Zverev nicht den ersten Finaleinzug seit seinem Comeback. Immer noch wartet er auf den ersten Sieg über einen Gegner aus den Top Ten nach der Verletzung. Gegen den Weltranglistenzweiten Daniil Medwedew war er gleich mehrfach ganz nah dran, vergab jedoch große Chancen.
Bei den French Open zurück an die Weltspitze
«Vom Potenzial her ist er ein Top-Mann», sagte Ex-Profi Tommy Haas zu den Erwartungen an Zverev. «Jetzt ist es das erste Mal eine Erfahrung für ihn, wo er die Matches nicht gewinnt, er ein bisschen mehr mit sich hadert und vielleicht ein bisschen über die Verletzung nachdenkt. Das dauert seine Zeit, die muss man ihm geben.»
Wie Haas in dessen besten Jahren stand Zverev zum Zeitpunkt seiner Verletzung auf Rang zwei der Welt, die Sensation gegen Nadal in einem epischen Match und der Sprung nach ganz oben waren 2022 greifbar. «Ich hätte vielleicht mein erstes Grand-Slam-Turnier gewinnen können. Dann wäre ich die Nummer eins geworden. Das hängt schon nach», erinnerte Zverev im März im Interview der «Sports Illustrated».
Zuletzt war der US-Open-Finalist von 2020 in der Weltrangliste dagegen auf Rang 27 zurückgefallen, seine schlechteste Platzierung seit September 2016. Im nächsten Ranking wird er sich durch die Erfolge in Genf wieder an Davis-Cup-Kollege Jan-Lennard Struff vorbeischieben – ein frühes Aus bei den French Open würde jedoch einen heftigen Absturz und in der Folge schwere Gegner bereits in frühesten Turnierphasen bedeuten.
Nicht nur deshalb ist für Zverev ein Sieg zu Beginn von Roland Garros gegen Außenseiter Lloyd Harris aus Südafrika Pflicht. Der mögliche Weg im Turnier könnte über den Amerikaner Frances Tiafoe in Runde drei und den Italiener Jannik Sinner im Achtelfinale zu einem erneuten Duell mit Medwedew führen.
Nadal spricht zuversichtlich über Zverev
Auf den Favoritenlisten der Analysten taucht Zverev trotz der Leistungen vor einem Jahr nicht mehr auf. Aus Sicht von Eurosport-Experte Becker sind ohne den verletzten Titelverteidiger Nadal dessen spanischer Landsmann Alcaraz, Rom-Sieger Medwedew (Russland), der 22-malige Grand-Slam-Turniersieger Novak Djokovic aus Serbien und der Däne Holger Rune die Top-Anwärter auf den Titel. «Die Öffentlichkeit redet nicht über Sascha Zverev», sagte Becker. «Er ist ein stolzer Spieler, er will schon zum Favoritenkreis gehören. Stand der Dinge heute ist er das nicht.»
Doch langfristig will Zverev die Worte beweisen, die ihm von einem der Größten des Tennissports als Aufmunterung ins Krankenhaus hinterher geschickt wurden: «Ich weiß, wie sehr er darum kämpft, ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen», sagte Sandplatz-Dominator Nadal direkt nach der Verletzung seines Kontrahenten. «Ich bin mir sicher, er wird nicht nur eines, sondern mehrere gewinnen.»
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