Immer wieder schlug Aline Rotter-Focken ungläubig die Hände vor das Gesicht. Dazwischen formte sie mit ihren Fingern ein Herz und schickte Küsschen in die Heimat.
Nach ihrem historischen Finaleinzug bei den Olympischen Spielen in Tokio wurde der früheren Ringer-Weltmeisterin ihr Ehemann Jan Rotter, selbst ein ehemaliger Ringer, per Video aus der Heimat zugeschaltet. Mit Freunden hatte er in Triberg in einem Kino den Coup der 30-Jährigen verfolgt. «Ich wusste das gar nicht», sagte Rotter-Focken. Ihr steht am Montag (ab 13.55 Uhr/MESZ) in der Makuhari Messe-Halle nun der krönende Abschluss ihrer Karriere bevor.
Schon jetzt hat die Krefelderin, die ihre Laufbahn nach den Spielen in Japan beenden wird, mindestens Silber sicher. Es ist die erste deutsche Olympia-Medaille im Frauen-Ringen überhaupt. «Das war mein Traum», sagte Rotter-Focken. Diese Medaille sei «längst überfällig angesichts der tollen Arbeit, die unser Team seit Jahren leistet». Und womöglich wird es ja sogar Gold. Nach ihren Auftritten am Sonntag ist es nicht ausgeschlossen, dass sie im Finale auch die amtierende Weltmeisterin und in Tokio topgesetzte Amerikanerin Adeline Gray schlägt. «Mein Traumfinale», sagte sie. «Wir sind gute Freunde.»
Vorzeigeathletin im Team
Im Halbfinale am Sonntag setzte sich Rotter-Focken mit 3:1 gegen Asienmeisterin Hiroe Minagawa aus Japan durch. Zuvor hatte sie Wassilissa Marsaljuk aus Belarus mit 2:1 und die Chinesin Qian Zhou mit 8:3 besiegt. Rotter-Focken ist seit Jahren die Vorzeigeathletin im deutschen Frauen-Team. Neben Gold 2014 gewann sie unter anderem drei weitere WM-Medaillen: 2017 Silber, 2015 und 2019 Bronze. Drei dieser vier Plaketten holte sie noch in der Klasse bis 69 Kilogramm.
Olympisches Edelmetall fehlte ihr bislang aber noch. Der Traum davon trieb sie seit Jahren an. An ihrem frühen Aus bei den Spielen in Rio de Janeiro 2016, die sie letztlich auf dem neunten Rang beendete, hatte sie lange zu knabbern. Doch sie kämpfte sich zurück. «Sie hat eine unglaubliche Selbstdisziplin», sagte Bundestrainer Patrick Loes der Deutschen Presse-Agentur. «Nie hat sie sich auf Höhen ausgeruht, nie hat sie sich nach Tiefen im Training hängen lassen.»
Immer habe sie sich kritisch hinterfragt, betonte der Sportdirektor des Deutschen Ringer-Bundes (DRB), Jannis Zamanduridis. «Wenn mal etwas nicht funktioniert, will ich immer doppelt und dreifach so viel machen. Manche in meinem Umfeld müssen glauben, ich sei verrückt geworden», sagte Rotter-Focken selbst. Auch in der unmittelbaren Vorbereitung auf ihre Abschiedsvorstellung überließ sie nichts dem Zufall. Anders als die Männer bezogen die Frauen direkt vor Olympia noch ein Trainingslager in Japan um sich zu akklimatisieren. Mit Erfolg. Am Wettkampftag war Rotter-Focken von Anfang an voll da.
Leistungsentwicklung im letzten Jahr
Die Verlegung der Spiele um ein Jahr habe seiner Athletin womöglich gut getan, so Sportchef Zamanduridis. «Gerade im letzten Jahr gab es bei Aline noch mal eine Leistungsentwicklung. Sie ist noch mehr in diese Gewichtsklasse reingewachsen.» Und in der nun endgültig oben angekommen. «Verlieren kann ich nichts mehr», sagte Rotter-Focken. «Aber schenken werde ich Adeline im Finale natürlich auch nichts.»
Die Griechisch-römisch-Athleten Eduard Popp (in der Klasse bis 130 Kilogramm gegen den Türken Riza Kayaalp) und Etienne Kinsinger (in der Klasse bis 60 Kilogramm gegen den Chinesen Sailike Walihan) schieden am Sonntag zwar aus. Dank Rotter-Focken hat das deutsche Ringer-Team seine Ausbeute von 2016, als es nur einmal Bronze durch Denis Kudla gab, aber schon jetzt überboten. Und noch ist die hollywoodreife Vorführung von Rotter-Focken ja nicht zu Ende.
Weitere Nachrichten
Rassistische Kommentare gegen Ansah: DLV prüft Strafanzeige
Maskenmann Mbappé leidet: «Es ist furchtbar»
Bellinghams Fallrückzieher rettet England vor Blamage