Es ist die berühmteste Abfahrt der Welt. Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 150 Kilometern pro Stunde, Sprünge über rund 80 Meter, eine maximale Hangneigung von 85 Prozent. Die Streif verlangt den alpinen Ski-Assen alles ab.
Wer Thomas Dreßen nach dem Rennen in Wengen am vergangenen Samstag mit den Tränen kämpfen sah, dürfte daran gezweifelt haben, dass er diese Woche in Kitzbühel dabei ist. Deutschlands langjähriger Top-Abfahrer und Streif-Champion von 2018 reiste reichlich angeschlagen nach Tirol – körperlich und mental. Die ersten Eindrücke, die er dort hinterlassen hat, stimmten wieder etwas zuversichtlicher. Das Training am Mittwoch ließ er aber aus.
«Ich möchte mein Knie schonen», sagte Dreßen. «Ich habe mir gestern alles angeschaut und weiß, wo die Kriterien liegen.» Das Training am Dienstag sei «solide» gewesen. Das Knie habe sich «gut angefühlt», es sei eine «kontrollierte Fahrt» von ihm gewesen.
Große Ski-Sause in Kitzbühel
Dreßen, in den vergangenen Wintern von Verletzungen und Operationen geplagt, gehört – sollte er denn starten – sechs Jahre nach seinem Sensations-Triumph auf der Streif diesmal nicht zu den Kandidaten für die vorderen Plätze. Genau wie seine Teamkollegen.
Der 30-Jährige steht vor den Abfahrten am Freitag und Samstag (jeweils 11.30 Uhr/ARD und Eurosport) sinnbildlich für die Leiden der deutschen Alpin-Athleten in der bisherigen Saison. Bei der großen Ski-Sause in Kitzbühel, zu der wieder zigtausend Fans und viele Prominente wie Hollywood-Star Arnold Schwarzenegger oder Sänger Andreas Gabalier erwartet werden, haben sie Nebenrollen.
«Es tut einfach weh», hatte Dreßen nach der Lauberhorn-Abfahrt in Wengen zuletzt gesagt. Sein Körper spiele nicht mehr richtig mit. Das schwer vorbelastete Knie habe während der Fahrt nachgegeben, er habe seinen rechten Fuß nicht mehr gespürt. Das klang alles gar nicht gut. Mittlerweile scheint es dem Sportler des SC Mittenwald wieder etwas besser zu gehen. Doch was ist auf der so kraftraubenden Streif für ihn drin?
Beflügelt von der Geburt seiner Tochter Elena im vergangenen Juni und endlich mal wieder schmerzfrei wollte Dreßen diesen Winter neu angreifen. Doch von seiner einstigen Klasse ist er ein ganzes Stück entfernt, der 18. Rang im Super-G von Gröden kurz vor Weihnachten war sein bislang bestes Saisonergebnis.
Für seine Kollegen läuft es nur wenig besser. Gerade mal einen Top-Ten-Platz haben die Deutschen in den ersten fünf Abfahrten dieses Winters bejubelt – durch Romed Baumann, der in Gröden Neunter wurde. Zuletzt lagen zwischen der Spitze und den Athleten des Deutschen Skiverbands (DSV) Welten. Einen «beachtlichen Leistungsrückgang» habe es in den vergangenen Rennen gegeben, sagte Alpinchef Wolfgang Maier der dpa. Dem Team mangelt es augenscheinlich an Selbstvertrauen und Risikobereitschaft. «Sie fahren nicht überzeugt», sagte Maier über seine Speed-Spezialisten. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Wer siegt auf der Streif?
Schmerz, lass nach – das dürfte sich nicht nur Dreßen, der fünffache Weltcupsieger, denken. Auch Andreas Sander, WM-Zweiter von 2021, spürte lange noch die Folgen seines Trainingssturzes in Gröden vor gut einem Monat. Nun will er die «Trendwende» einleiten, wie er sagte. Dreßen, Baumann, Sander – allesamt haben sie in Kitzbühel schon Top-Ergebnisse eingefahren. Nicht ausgeschlossen, dass zumindest einer von ihnen auch diesmal den erhofften Sahne-Tag erwischt und sich weiter vorne einreiht als zuletzt.
Die Favoriten sind aber andere. Der zweimalige Gesamtweltcupsieger Marco Odermatt etwa. Der Schweizer Überflieger steht schon bei sieben Saisonsiegen, in Wengen feierte er zuletzt seine ersten Weltcup-Erfolge in der Abfahrt. Auch Ex-Weltmeister Vincent Kriechmayr bei seinem Heimspiel oder der formstarke Franzose Cyprien Sarrazin dürften sich – erst recht nach dem verletzungsbedingten Ausfall des norwegischen Speed-Dominators Aleksander Aamodt Kilde – etwas ausrechnen.
Mausefalle, Karussell, Lärchenschuss, Hausbergkante – auf der insgesamt gut 3,3 Kilometer langen Streif gibt es viele Schlüsselstellen zu meistern. Die Deutschen werden alle Kräfte brauchen, wollen sie dabei den Weg aus der Krise finden.
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