22. November 2024

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«Schlag ins Gesicht»: Bayern lassen Bayer davonziehen

Das Trainingslager in Portugal sollte den FC Bayern bei der Jagd auf Liga-Primus Leverkusen beflügeln. Und dann? Verlieren die Münchner daheim. Ein Ex-Münchner ist Bremens Matchwinner.

Eine gute Stunde nach dem mächtigen Wirkungstreffer im Titelkampf saß Thomas Tuchel konsterniert in der Münchner Arena und rang um Worte. «Das war ein großer Dämpfer für uns», sagte der Bayern-Trainer nach dem völlig verdienten 0:1 (0:0) gegen Werder Bremen.

Der Titelkampf der Fußball-Bundesliga war Tuchel unter dem Eindruck der eigenen Fehlleistung herzlich egal. «Es ist müßig, auf Leverkusen zu gucken.» Das späte Aufbäumen nach dem Treffer des starken Mitchell Weiser in der 59. Minute wischte Tuchel fast beiseite, zu erschreckend war für ihn der Auftritt davor. «Wir haben 70 Minuten nicht wie eine Mannschaft gespielt, die den Sieg erzwingen will, die um die Meisterschaft spielen will, die eine Antwort geben will», kommentierte der 50-Jährige.

Leverkusen vorerst sieben Punkte vor den Bayern

Im überschwänglichen Bremer Siegesjubel standen seine Spieler nach dem Schlusspfiff konsterniert auf dem Rasen. Einen Tag nach dem nächsten beeindruckenden Last-Minute-Sieg von Liga-Primus Leverkusen ließen matte Bayern den Rivalen drei Tage vor dem Nachholspiel gegen Union Berlin in der Tabelle auf sieben Punkte davonziehen.

«Wir waren einfach viel zu träge, einfach ohne Leben drin», sagte der lange Zeit auf der Bank schmorende Nationalspieler Thomas Müller bei DAZN: «Damit meine ich nicht, dass man rumschreit oder mit dem Stollen reingrätscht oder irgendwelche martialischen Dinge macht, sondern da geht es einfach darum: Wie sehr sieht man es einer Mannschaft an, dass sie ein Tor braucht, dass sie ein Tor will?» Mit bitterer Miene fügte Müller an: «Das war natürlich ein großer Schlag ins Gesicht für uns – aber da haben wir auch mitgeholfen.»

Weiser: «Wir hatten einen perfekten Tag»

Ins Bild des ersten Werder-Sieges gegen den FC Bayern seit September 2008 passte in der ausverkauften Allianz Arena, dass ein Ex-Münchner das Siegtor erzielte. Der starke Mitchell Weiser traf in der 59. Minute nach einer brillanten Einzelleistung. Nationaltorhüter Manuel Neuer war ohne jede Abwehrchance.

«Das war ein super Spiel von uns. Wir haben alles gezeigt, was es braucht, um hier zu gewinnen», sagte Weiser: «Wir hatten einen perfekten Tag, und dann kann man auch die Bayern schlagen.» Am Ende hielt der starke Werder-Torwart Michael Zetterer den Sieg für die Gäste fest. Unter anderem parierte er überragend gegen Bayern-Joker Mathys Tel (87.). «So einen Tag braucht man», sagte Zetterer.

FCB ohne Tempo im Angriffsspiel

Schon vor Weisers Geniestreich hatten die Bayern die Hilfe des Video-Assistenten benötigt. Ein Kontertor von Werder-Stürmer Justin Nijanmah in der 25. Minute nahm Schiedsrichter Marco Fritz auf Intervention des VAR zurück. Jens Stage hatte vor dem erfolgreichen Bremer Konter Bayern-Spielmacher Jamal Musiala per Foul vom Ball getrennt, was Fritz in der Live-Ansicht zunächst nicht so bewertet hatte. «Wir müssen natürlich den Ernst der Lage erkennen, dass wir nicht vorne stehen», sagte Kapitän Manuel Neuer.

Nach dem Kurz-Trainingslager in Portugal wirkten die Bayern-Stars im Münchner Winter wie eingefroren. Tuchel bewertete die Tage an der Algarve vor dem noch als «guten Impuls». Blöd, dass davon rein gar nichts auf dem Rasen zu sehen war. Statisch, ohne Hingabe, ohne Inspiration und ohne Tempo plätscherte das Angriffsspiel dahin. Tuchel nannte den Auftritt «schlampig» und ohne Struktur. Und im Gegensatz zum Vorbild Bayer Leverkusen verpufften auch die einstudierten Münchner Ecken-Varianten komplett.

Werder kompakt und mutig

Und Werder? Agierte defensiv kompakt und nach vorne auch ohne Nationalspieler Marvin Ducksch und Leonardo Bittencourt (beide Gelbsperre) mutig. Was fehlte, war lange Zeit nur die Belohnung. Das Tor von Nijnmah zählte nicht. Und Bayern-Kapitän Neuer lenkte bei einer Flugeinlage einen abgefälschten Schuss von Weiser mit den Fingerspitzen zur Ecke (24.).

Auf einen Impuls von der Bank mit Müller oder Leon Goretzka verzichtete Tuchel zur Halbzeitpause. Harry Kane schoss auf der Distanz (50.), aber einen Hallo-Wach-Effekt hatte die Aktion nicht. Vielmehr kam der große Moment von Weiser, der erst Alphonso Davies ausspielte und den Ball dann aus spitzem Winkel unter die Latte drosch. «Dass Mitch das Tor macht, war kein Zufall. Für uns ist er ein Unterschiedsspieler», sagte Werder-Coach Ole Werner: «Die Leistung der gesamten Mannschaft war außergewöhnlich gut.»

Tuchel musste in Rückstand reagieren. Müller, Goretzka und Tel kamen. Der Bayern-Druck nahm zwangsläufig zu. Sané, Tel und andere Bayern-Spieler prüften den in München geborenen Zetterer. Bremens Torwart stand in der Schlussphase ständig im Blickpunkt, ehe er mit seinen Feldspieler-Kollegen den großen Sieg bejubeln konnte. «Am Schluss war es Harakiri», sagte Tuchel zum Münchner Anrennen nach 70 Leerlauf-Minuten.

Von Klaus Bergmann, Christian Kunz und Niklas Treppner, dpa