23. November 2024

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Schimmelpfennig: Olympia wird «deutlich steriler»

Olympia in Tokio wird aus Sicht von Chef de Mission Dirk Schimmelpfennig unter den Corona-Beschränkungen leiden. Der DOSB-Leistungssportchef erwartet, dass «viele positive Aspekte gänzlich fehlen» werden.

Chef de Mission Dirk Schimmelpfennig erwartet bei den Olympischen Spielen in Tokio alles andere als ein sportliches Freudenfest.

«Es wird deutlich steriler und weniger stimmungsreich sein», sagte er vor Beginn der Sommerspiele im Interview der Deutschen Presse-Agentur. «Die Erfahrungen, die die Beteiligten sammeln werden, werden ganz andere als bei bisherigen Spielen sein.»

Mit welchen Erwartungen blicken Sie den verlegten und durch die Pandemie beeinträchtigten Olympischen Spielen in Tokio entgegen, nachdem schon die in Rio 2016 nicht einfach waren?

Dirk Schimmelpfennig: In Rio sind wir davon ausgegangen, dass es zukünftig keine Spiele mit Herausforderungen in dieser außergewöhnlichen Art und Weise geben wird. Wir hatten damals im olympischen Dorf bekanntlich anfangs große Probleme mit den sanitären Anlagen in den Appartements. Die Herausforderungen bei den Spielen in Tokio sind unter den aktuellen Bedingungen der Pandemie noch einmal wesentlich extremer. Besonders mit den Restriktionen vor Ort so umzugehen, wird für viele sehr anspruchsvoll sein.

Die Tokio-Spiele werden weitgehend auf die Austragung der Wettkämpfe reduziert sein. Begegnungen, Party und Flair dürften auf der Strecke bleiben, zumal die Wettkämpfe ohne Zuschauer stattfinden. Ist diese Reduktion auf das rein Sportliche in dieser Corona-Lage ein Vorteil oder psychologisch gesehen ein Nachteil?

Schimmelpfennig: Diese massiven Reduzierungen sind nicht erfreulich, aber aufgrund der aktuellen Situation in Tokio zum Schutz aller zwingend erforderlich. Aufgrund dieser Restriktionen wird den Spielen in Tokio in diesem Jahr vieles fehlen, was Olympische Spiele normalerweise ausmacht. Das olympische Gefühl, das mit dem Zusammentreffen der besten Athleten aus verschiedensten Sportarten weltweit entsteht, wird es in Tokio so nicht geben. So werden viele positive Aspekte gänzlich fehlen. Das bedeutendste Sportfest der Welt wird viel von seinem Reiz vermissen lassen. Es wird deutlich steriler und weniger stimmungsreich sein. Was bleibt, ist der Sport mit seinen Athleten und Trainern im Mittelpunkt dieser Spiele. Die Erfahrungen, die die Beteiligten sammeln werden, werden ganz andere als bei bisherigen Spielen sein.

Welche Stärken und Sorgenkinder machen Sie im Team D aus?

Schimmelpfennig: Ich möchte im Vorfeld der Spiele keine Prognosen abgeben. Unsere Möglichkeiten können bei einem Blick in die Weltbestenlisten gut eingeordnet werden. Wir wissen, dass wir in Sportarten, in denen wir seit vielen Jahren international sehr erfolgreich waren, wie beispielsweise Kanu, Reiten oder Hockey auch in Tokio wieder Medaillen gewinnen können. Einige Sportarten, wie Schwimmen oder Fechten, haben in Tokio aus verschiedenen Gründen bessere Aussichten auf Erfolg als noch in Rio. Einige Verbände haben seit Rio eine gute Entwicklung genommen, andere nicht. So wird es auch bei diesen Spielen neben den Highlights auch Enttäuschungen geben.

Wie sind die Erwartungen in den Mannschaftssportarten?

Schimmelpfennig: Wir haben mit unseren Mannschaften bei den letzten Olympischen Spielen einige Medaillen gewinnen können und können auch in Tokio wieder erfolgreich sein. Nach der Olympia-Qualifikation der Basketballer nehmen an den Spielen in Tokio exakt so viele große deutsche Mannschaften teil wie bei den Spielen 2016 in Rio. Die Hockey-Teams haben bei der EM jüngst gezeigt, dass sie international sehr konkurrenzfähig sind. Auch die U21-Fußballer haben dies mit dem EM-Titelgewinn in diesem Jahr bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Die Handballer werden sich am Kampf um die Medaillen bei den Olympischen Spielen sicher wieder beteiligen können. Und die Basketballer reisen nach der Qualifikation mit viel Selbstvertrauen nach Japan. Wir haben mit unseren Mannschaften also wieder Eisen im Feuer, die zu Medaillen geschmiedet werden könnten.

Wird Deutschland die Position im Weltsport – und im Medaillenspiegel – halten können? Die Rio-Spiele beendeten die deutschen Athleten mit 42 Medaillen (17 Gold, 10 Silber und 15 Bronze) und damit als fünftbestes Land.

Schimmelpfennig: Das ist offen, auch wegen der nicht abzuschätzenden Auswirkungen der Pandemie. Die internationalen Prognosen weisen eher auf ein schwächeres Abschneiden als in Rio hin. Danach werden von unserem Team acht bis zehn Medaillen weniger als 2016 erwartet. Es wird aber in Tokio einige Überraschungen geben. Warten wir es mal ab.

Wäre es wegen der Unwägbarkeiten der Folgen der Pandemie auf den Leistungssport nicht so schlimm, wenn das deutsche Team schlechter abschneiden und weniger Medaillen als erwartet mit nach Hause bringen würde?

Schimmelpfennig: Wir wollen auch in Tokio wieder erfolgreich sein. Die Zielstellungen der Athleten beziehen sich immer auf ihre Leistungen und ihren Erfolg. Bei diesen Spielen in Pandemiezeiten hat die Gesundheit der Sportler eine noch wesentlichere Bedeutung als sonst. Deshalb werden wir alle auch alles dafür tun, dass wir in dieser besonderen Situation gesund bleiben. Wenn uns das gelingt, werden wir auch erfolgreich sein können.

Die Führungskrise im DOSB hat für Unruhe gesorgt. Ist das ein Schatten, den man mit nach Tokio nimmt und der eine Last sein könnte?

Schimmelpfennig: Natürlich haben wir uns in den vergangenen Wochen und Monaten damit beschäftigt und einige Dinge im operativen Bereich des DOSB auch bereits aufgearbeitet. Wir werden uns in Tokio aber professionell, verantwortungsvoll und leidenschaftlich ganz auf den Sport konzentrieren. So stehen unsere Athleten mit ihren Trainern im Mittelpunkt unserer Betrachtungen. Mit all den anderen Themen können wir uns wieder nach den Spielen intensiver befassen.

ZUR PERSON: Dirk Schimmelpfennig (59) ist seit März Vorstand Leistungssport des Deutschen Olympischen Sportbundes. Zuvor war er Cheftrainer (2000 bis 2006) und Sportdirektor (2007 bis 2015) des Deutschen Tischtennis-Bundes.

Interview: Andreas Schirmer, dpa