21. November 2024

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Rüdiger und «das ganze Kriegerding»: Knallhart und nett

Er ist ein knallharter Kämpfer auf dem Rasen. Er kann aber auch nett sein, urteilen seine Mitspieler. Antonio Rüdiger soll nach dem Champions-League-Triumph mit Chelsea nun bei der EM für Deutschland seine Tugenden einbringen.

Mit dem Carbon-Gesichtsschutz noch in der Hand betrat Antonio Rüdiger den Trainings-Rasen. Und noch vor den ersten Aufwärmübungen streifte sich der Abwehrhüne die schwarze Maske über.

Der 1,90 Meter große Profi kann auf dem Fußballplatz schon ein wenig Furcht verbreiten, auch wenn es am Sonntag in Herzogenaurach noch nicht gegen EM-Auftaktgegner Frankreich ging. «Im Training macht es nicht so viel Spaß, gegen Toni zu spielen. Du willst ihn immer in deiner Mannschaft haben», berichtete Clubkollege Kai Havertz.

Werner: «Wir haben einen Krieger»

Auch der dritte Profi von Champions-League-Sieger FC Chelsea in der Nationalmannschaft, Timo Werner, schilderte blumig Rüdigers Tugenden: «Er geht in die Zweikämpfe, will den Ball gewinnen. Er gibt einem das Gefühl, wir haben einen Krieger. Egal was kommt, er schmeißt sich rein.» Rüdiger selbst hält nicht so viel von der Erhöhung zum Superkämpfer: «Das ganze Kriegerding, wenn ich ehrlich bin, so habe ich schon immer gespielt.» Und ihm sei es auch nicht wichtig, ob er jetzt schon in die Kategorie Weltklasse aufgerückt sei: «Das müssen andere beurteilen. Ich weiß, dass ich noch an mir arbeiten muss.»

Fakt ist: Mit dem Vertrauen von Bundestrainer Joachim Löw und dem Trainerwechsel von Frank Lampard zu Thomas Tuchel beim FC Chelsea stieg die Aktie Rüdiger. «Toni Rüdiger hat bei uns zuletzt immer gespielt. Er ist ein Innenverteidiger auf allerhöchstem Niveau und mit seiner Art und Weise, wie er spielt, für uns ein absolut wichtiger Spieler», urteilte Löw nach dem Trainingslager in Seefeld. Am Dienstag gegen Frankreich wird Rüdiger neben Mats Hummels und dem Gladbacher Matthias Ginter in der Dreier-Abwehrkette erwartet.

Als Mentalitätsspieler gefragt

Dabei hatte Lampard den gebürtigen Berliner noch im ersten Teil dieser Saison quasi aus dem Chelsea-Kader befördert. «Die ersten sechs Monate war er gefühlt aussortiert», erinnerte sich Havertz: «Nach dem Trainerwechsel hat er überragend gespielt. Er war sehr wichtig als Mentalitätsspieler.» Und genau als solcher ist er nun auch bei der EM gefragt, nachdem 2016 die letzte EURO in Frankreich für Rüdiger mit einem Kreuzbandriss zu Ende war, bevor sie überhaupt angepfiffen worden war.

Eine Gesichtsverletzung im Frühjahr im Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid konnte Rüdiger jetzt nicht mehr stoppen. Zum Schutz muss er noch die dunkle Maske tragen. Erst nach der EM soll sie wegkommen. «Er sieht manchmal ein bisschen grimmig aus, wenn er sauer ist», bemerkte Teamkollege Werner, der schon beim VfB Stuttgart mit Rüdiger zusammengespielt hatte. Vorbild und wie ein «großer Bruder» für Rüdiger ist Rio-Weltmeister Jérôme Boateng.

Ein kompromissloser Zweikämpfer

Rüdiger ist ein kompromissloser Zweikämpfer, wie zuletzt Kevin De Bruyne im Champions League-Finale schmerzvoll erfuhr. Nach einem Bodycheck des 41-maligen deutschen Nationalspielers musste der Belgier mit gebrochener Augenhöhle vom Platz. Rüdiger hat aber auch eine andere Seite, wie seine Mitspieler betonen. Er könne «nett» sein, sagte Werner: «Er ist natürlich auch ein bisschen verrückt.»

Rüdiger, der sich in seinem Leben «gegen viele Anfeindungen wehren musste» und sich offensiv gegen Rassismus einsetzt, reflektiert sensibel die Welt. Nachdem der Chelsea-Verteidiger im Teamquartier die schockierenden TV-Bilder vom Kollaps des Dänen Christian Eriksen im EM-Spiel gegen Finnland gesehen hatte, sagte er am Sonntag: «Ich glaube, ich hätte nicht weiterspielen können.»

Hauptantrieb für Rüdiger selbst war und ist seine Familie, wie er in Herzogenaurach bekräftigte. Sein Vater ist Deutscher, seine Mutter stammt aus Sierra Leone. Vor kurzem ist er selbst zum zweiten Mal Papa geworden. «Für mich war Fußball nur ein Weg, um aus der Armut rauszukommen», sagte der Profi. «Ich wollte vor allem meiner Familie und mir selbst ein schöneres Leben geben können.»

Von Jens Mende und Klaus Bergmann, dpa