21. November 2024

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Robin Gosens: Vom VfL Rhede zum EM-Startspieler

Ein bisschen «Poldi», lange nur auf Dorfplätzen unterwegs, in Bergamo von der Corona-Tragödie geprägt: Robin Gosens ist drauf und dran, auf großer sportlicher Bühne seine eigene Geschichte schreiben.

Kurz vor dem Aufbruch zu seinem ersten großen Turnier mit der Nationalmannschaft gab es für Robin Gosens schon Termine, die im Fußball normalerweise einem Sieger vorbehalten sind.

Doch es ist eben nicht viel normal in der Ballspiel-Karriere des 26-Jährigen, der viele Fans vom Aussehen her und auch wegen seiner kecken Sprüche ein wenig an Liebling Lukas «Poldi» Podolski erinnert.

In seinem Geburtsort Emmerich am Niederrhein durfte sich Gosen schon kurz vor der EM ins Goldene Buch der Stadt eintragen. Und dann kam sein eigenes autobiografisches Buch heraus: «Träumen lohnt sich» – dabei hatte Gosens gerade ein paar Minuten für Deutschland gespielt.

Vom No-Name zum Nationalspieler

«Ich hatte eigentlich immer den Traum, Profi zu werden. Aber wenn du 18 bist, immer noch auf dem Dorf kickst, wird’s natürlich schwierig», sagte Gosens nach der Buch-Premiere. Und seine Gedanken vor der ersten Reise zur Nationalmannschaft im Sommer des Vorjahres fasste er damals im «DFB-Journal» so zusammen: «Mich kennt doch da kein Schwein.» Inzwischen haben Mitspieler und auch die Fußball-Fans in Deutschland den ungewöhnlichen Profi kennengelernt. Mit couragierten Auftritten bei den EM-Tests gegen Dänemark (1:1) und Lettland (7:1), aber auch mit seiner lockeren Art ist er erst einmal ein Gewinner im Konkurrenzkampf der 26 deutschen EM-Kicker.

«Ich habe meine erste Hütte geknipst – da ist mir schon einer abgegangen», sagte Gosens in bester «Poldi»-Worwahl nach seinem Premierentor im DFB-Team gegen die Letten, was einige Zuhörer erschrocken, andere amüsiert hat. Es passt zu dem Mann mit den lockeren Sprüchen, dass er im EM-Quartier auf dem Gelände von DFB-Partner Adidas in ein Holzhaus mit Thomas Müller gezogen ist. Kevin Trapp und Leon Goretzka sind die weiteren Mitbewohner in der Gaudi-WG.

«Wir brauchen das im Training, dass man sich ein bisschen auf die Eier geht», hatte Gosens bereits in Seefeld berichtet. Auf der anderen Seite formulierte Gosens dankbar: «Es ist eine riesengroße Ehre, dass ich Deutschland bei einem Turnier repräsentieren darf.»

Zwei gute Testspiele

Auch auf dem Platz ist der Linksverteidiger von Atalanta Bergamo in keine Schablonen gepresst. Mutig und unbekümmert spielte er sich in Löws erste Elf. «Wie klar das ist, kann ich nicht sagen. Aber ich habe zumindest zwei gute Länderspiele im Rücken», sagte Gosens zu der Aussicht, am kommenden Dienstag gleich beim harten EM-Auftakt in München gegen Weltmeister Frankreich von Beginn an dabei zu sein.

Der Wahl-Italiener passt in Löws Taktik- und Anforderungsprofil. «Er hat sich in der Serie A sehr gut entwickelt», bemerkte der Bundestrainer zu Gosens. «Er hat eine sehr große Dynamik und – was ihn auszeichnet – er strahlt auf der Position Torgefahr aus.»

Bei Löw setzt sich der ungewöhnliche Weg fort. Er trieb den Sohn einer deutschen Mutter und eines niederländischen Vaters zunächst – weit weg von den Leistungszentren der Bundesligaclubs – nur auf die Provinzsportplätze. Bei der A-Jugend des VfL Rhede wurde Gosens zufällig von einem Scout von Vitesse Arnheim gesichtet und zum Probetraining eingeladen. Die weiteren Stationen hießen dann wenig spektakulär FC Dordrecht und Heracles Almelo, ehe sich Atalanta Bergamo für eine Million Euro Ablöse den halben Holländer angelte.

Corona-Situation «schwierigste Zeit meines Lebens»

«Manchmal muss man auch den einen oder anderen Umweg nehmen», sagte Gosens jetzt. In Bergamo wurde er vor allem durch seine starken Auftritte in der Champions League bekannt. Und durch seine Live-Schilderungen der tragischen Corona-Situation in der Stadt im deutschen Fernsehen. «Rückblickend war das die schwierigste Zeit meines Lebens», erzählte Gosens später: «Wenn ich daran denke, dass wir an dem Ort waren, an dem es zu dem Zeitpunkt vielleicht am schlimmsten auf der Welt war, bekomme ich noch immer eine Gänsehaut.» Dadurch könne er aber jetzt auch viele Dinge anders wertschätzen.

Dazu gehört auch seine neue Rolle im Nationalteam. «Fleiß, harte Arbeit, Mentalität und Disziplin waren das Wichtigste», sagte Gosens zu den Tugenden, die ihn zum EM-Startspieler gemacht haben. «Es war mein Ziel, mich zu empfehlen. Jetzt versuche ich, mich noch weiter zu präsentieren und dann ein gutes Turnier zu machen.»

Die EM könnte auch Gosens Karriere einen weiteren Kick geben: Schon vor dem Start gibt es immer neue Gerüchte um interessierte Clubs – von Atlético Madrid, über Leicester City und Juventus Turin bis zu Hertha BSC und Bayer Leverkusen. Seinen Vater, der ihn auch berät, hat er aber angewiesen, ihn beim Turnier mit diesen Dingen nicht abzulenken.

Von Jens Mende und Klaus Bergmann, dpa