Im Londoner «Ally Pally» sieht der vom Bürgermeister ausgerufene Katastrophenfall so aus: 3000 Darts-Fans grölen in einer kleinen Halle lautstark ihre Lieder, trinken viel Bier und veranstalten eine Party, wie sie vor der Corona-Pandemie normal und unbedenklich war.
Bei der WM gibt sich der Weltverband PDC alle Mühe, die Mindeststandards der ohnehin lax agierenden britischen Regierung in Zeiten der Omikron-Variante bloß nicht zu übertreffen. Und mit dem positiven Test von Star Michael van Gerwen droht den Organisatoren nun auf Spielerebene das große Chaos.
«Jetzt ist dieses Turnier weniger wert», sagte Weltmeister und Hauptkonkurrent Gerwyn Price aus Wales nach dem Ausscheiden des dreimaligen Weltmeisters aus den Niederlanden, der unmittelbar vor seinem Drittrundenmatch positiv getestet worden war und daraufhin aus dem Turnier genommen wurde. Nun legte Price nach: «Das Turnier sollte verschoben werden.» Dies sei zwar wahrscheinlich nicht die beste Option, «aber eine Option, mit der ich einverstanden wäre». Die PDC hat bislang nichts in diese Richtung verlauten lassen.
Van Gerwen sagte, er sei «wirklich enttäuscht, verwirrt, wütend, wie meine Weltmeisterschaft endet. Ich hätte dieses Ergebnis nie erwartet.» Dabei waren erst in den Vortagen seine beiden Landsmänner Vincent van der Voort und Raymond van Barneveld positiv getestet worden. Der Befund kam also nicht aus dem Nichts. Das WM-Turnier wirkt derzeit wie eine große Lotterie. Einen Tag später erwischte es den Engländer Dave Chisnall, der im Vorjahr noch im Halbfinale stand. Er scheidet wie van Gerwen kampflos aus, stattdessen erhält Englands Luke Humphires ein Freilos fürs Achtelfinale.
Darts-Verband in Erklärungsnot
Die PDC steckt nun in einem selbst verschuldeten Dilemma. Mit relativ großzügigen Regeln und vielen Schnell- statt PCR-Tests ging der auf Show und Inszenierung ausgerichtete Verband die WM an. Nun gab es seit Weihnachten zwei Spielabsagen, was die Wertigkeit des größten Turniers beeinflusst. Weitere könnten folgen.
Die Kommunikation verläuft dabei einsilbig und stets nach dem gleichen Muster: Spieler A hat Corona, Spieler B kommt somit weiter. Kein Wort zu weitergehenden oder zusätzlichen Schutzmaßnahmen. Stattdessen werden die übrigen Spiele extra laut gefeiert: Vieles ist «historisch» oder «episch» oder «fantastisch». Corona soll dagegen inmitten der schwachen Krisenkommunikation ein Randaspekt bleiben. Dabei wird es immer skurriler.
Im langjährigen Primus van Gerwen hat die für viele Außenstehende unbefriedigende Situation nun ein Gesicht bekommen. Denn tatsächlich gibt es schon seit Beginn der Titelkämpfe harsche Kritik an der Gesamtlage im Alexandra Palace, der trotz hoher Corona-Zahlen und der Verbreitung der neuen Variante Omikron voll ausgelastet werden darf. Während in Deutschland flächendeckend die Geisterspiele zurück sind, gibt es auf der Insel volles Haus – unter 3G-Zulassung (Geimpfte, Genesene und negativ Getestete), die einem Bericht der «Bild-Zeitung» zufolge nicht einmal besonders streng kontrolliert wird.
Im «Ally Pally» geht es weiter wie bisher
Der Kontrast ist krass. Während im kurzen Zeitfenster zwischen Weihnachten und Silvester ein Spieler nach dem anderen wegen positiver Corona-Tests ausfällt, geht es auf den Rängen einfach genauso weiter. Die Verantwortlichen gelten nicht unbedingt als Befürworter strenger Corona-Maßnahmen.
PDC-Boss Barry Hearn schrieb am 18. Dezember mit Bezug auf Omikron via Twitter: «Und denken wir ernsthaft darüber nach, die Wirtschaft zu schließen und Millionen Menschen endlose Not zu bereiten?» Der 73-Jährige stellt fest, dass es Zeit sei, «mit dem Virus zu leben». Derweil hatte Londons Bürgermeister Sadiq Khan schon vor knapp zwei Wochen den Katastrophenfall ausgerufen und dazu begründet: «Der Anstieg der Omikron-Fälle in unserer Hauptstadt ist sehr besorgniserregend.»
Die PDC dürfte versuchen, das Event bis 3. Januar mit aller Gewalt durchzudrücken und weitere Ausfälle einfach zu ertragen. Der Schotte Peter Wright sagte: «Wir sollen uns fernhalten von anderen Leuten und drin bleiben. Wenn ich eine Essenslieferung bekomme, wasche ich meine Hände und mache alles mögliche, um das Virus nicht zu bekommen. Du willst nicht aus der WM fliegen deswegen. Niemand will das.»
Kontakte, Händeschütteln und Umarmungen unter den Spielern sollen – zumindest an der Scheibe – vermieden werden. Auf die Bühne kam der extravagante Wright am Dienstagabend vor seinem 4:2-Sieg gegen Damon Heta nicht nur mit einem bunten Weihnachtsoutfit mit aufgedruckten Kerzen und Kugeln, sondern auch mit einem Mund-Nasen-Schutz. Das Lied «Don’t stop the party» von Pitbull ertönte, die weitgehend unmaskierten Fans hüpften und sangen. Es war ein passendes Sinnbild.
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