25. November 2024

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Paralympicssiegerin Krawzow vor größtem «Kampf ihres Lebens»

Elena Krawzow musste schon viele Kämpfe austragen. Der größte steht ihr nun bevor. Ein Gehirntumor muss raus. Die Chance auf Heilung ist da. Aber auch die Angst, nicht mehr die zu sein, die sie ist.

Elena Krawzow musste schon einige Schicksalsschläge meistern, nun aber geht die 28-Jährige in den «größten Kampf ihres Lebens».

Nach der Schocknachricht Gehirntumor steht die genaue Diagnose fest: Die Paralympicssiegerin hat einen gutartigen, aber diffusen Astrozytom Grad II im linken oberen Frontallappen. «Ich bin glücklich, dass ich leben darf. Es hätte ja auch sein können, dass ich nur noch ein paar Monate habe», sagte Elena Krawzow der Deutschen Presse-Agentur. Am kommenden Mittwoch, nur neun Wochen nach ihrem Goldtriumph in Tokio, wird die sehbehinderte Schwimmerin in der Berliner Charité operiert: «Ich kämpfe für mein Leben.»

Im Gespräch am Donnerstag, zwei Tage nach ihrem 28. Geburtstag, teilten ihr die Ärzte mit, dass die Chancen auf Heilung gut seien. Aber die Wahrheit ist auch: Es ist wahrscheinlich, dass der Tumor nicht komplett entfernt werden kann, Chemotherapie und Bestrahlung folgen. Und auch, dass der Tumor zurückkommen und mutieren kann.

Sorge vor der OP

Angst vor dem Ding in ihrem Kopf habe sie nicht. Er gehört nun zu ihr und ihrer Biografie wie ihre Flüchtlingsgeschichte von Kasachstan nach Russland, dann weiter nach Deutschland, das Leben in sehr armen Verhältnissen, die schleichend einsetzende Erbkrankheit Morbus Stargardt, durch die sie nur noch gut zwei Prozent sehen kann, die Ausgrenzung durch die Behinderung und der Kampf über das Schwimmen zu einem erfüllten, glücklichen und zufriedenen Leben.

Elena Krawzow hat vielmehr Angst, nach der Operation nicht mehr sie selbst zu sein. Denn da, wo der Tumor sitzt, befinden sich auch Areale, die die Persönlichkeit eines Menschen ausmachen. «Ich habe Angst, dass ich nach der OP eine andere bin.» Weg die Fröhlichkeit, die Motivation und der Antrieb? Eine Horrorvorstellung. «Dass ich nach der OP erstmal eine andere bin, wird wohl erstmals so sein. Aber ich möchte wieder zurück sein, so wie ich bin, voller Lebensfreude.»

Erste Symptome wie Schwindel und Kopfschmerzen hatte Elena Krawzow, die erst mit 13 dank ihres «Seelenverwandten» und Förderers Michael Heuer schwimmen lernte, schon in Tokio vor ihrem Goldlauf über 100 Meter Brust. Da schob sie es noch auf das Klima und die Umstände. Zurück in Deutschland wurde es immer schlimmer, teilweise hämmerten die Kopfschmerzen so sehr, dass sie nicht mehr gehen konnte. Da wusste sie, es stimmt was nicht. Am Tag, als sie mit ihrem Freund und Trainer Phillip Semechin die Eheringe kaufte, bekam sie abends nach einem MRT die bittere Diagnose: Da ist was in ihrem Kopf.

Von Wolke sieben auf den Boden

«Ich war noch völlig euphorisiert von den Paralympics und meiner Goldmedaille, war voller Emotionen, mein Leben war einfach nur wundervoll und von einer Sekunde auf die andere ist alles anders», sagte Krawzow. Sie sei von Wolke sieben auf den Boden geklatscht. Mitleid will sie nicht, Unterstützung und Zuspruch ja.

Kraft gibt ihr vor allem ihr Freund Phillip, den sie nun möglichst noch vor der Operation heiraten will. Hoffentlich, wenn das Standesamt mitspielt, am Montag, denn am Dienstag muss sie zur OP-Vorbereitung ins Krankenhaus. «Noch davor zu heiraten, würde mir unfassbar viel bedeuten.»

WM als Ziel

Was sie sich wünscht, außer als die lebensbejahende und glückliche Elena wieder aufzuwachen, die sie ist? «Ich bin immer etwas größenwahnsinnig und radikal, was das angeht. Ich will im kommenden Sommer bei der WM um den Titel kämpfen», sagt Elena Krawzow. «Meine Einstellung ist nicht nur in meinem Kopf, sondern auch in meinem Herzen. Ich bin überzeugt, dass meine innere Kraft so stark sein wird, dass ich das alles schaffe.»

Helfen wird ihr dabei das Schwimmen, ihr «Weg in die Welt»: «Schwimmen war meine Chance fürs Leben. Ich konnte was aus mir machen, selbstständig über mein Leben bestimmen. Ich habe alles erreicht, was ich mir erträumen konnte.» Und hoffentlich kommt noch so viel mehr.

Von Sandra Degenhardt, dpa