23. November 2024

Sport Express

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Paralympics: «Küken-WG» schafft nun sogar Gold-Sensation

Die 15 Jahre alte Linn Kazmaier und die drei Jahre ältere Leonie Walter haben schon an den ersten Tagen ihrer Paralympics-Premiere in Peking überrascht. Die Krönung schaffte nun Walter.

Direkt hinter der Linie fiel Leonie Walter entkräftet auf den Rücken – doch als klar war, dass die 18 Jahre alte Biathletin Paralympics-Gold gewonnen hat, gab es kein Halten mehr.

«Ich habe die ganze Zeit nach oben geschaut und mich gefragt: Wo bleibt die Zeit», erzählte Walter mit zittriger Stimme: «Dann sind alle aufgesprungen, und ich wusste, ich hab’s.»

Im Teamkreis werden Walter und ihre drei Jahre jüngere Zimmergenossin Linn Kazmaier nur die «Küken-WG» genannt. Und die liefert bei den Paralympics in Peking zuverlässig. Doch mit dieser goldenen Krönung durch Walter hätte niemand gerechnet.

Die zehn Kilometer in der Klasse der Sehbehinderten hatte die Schülerin in der Loipe von Zhangjiakou mit bemerkenswerter Coolheit gemeistert. Beim Live-Anruf bei Mutter Renate im Schwarzwald während eines ARD-Interviews verschlug es ihr dann aber die Sprache. Lachend und kommentarlos hörte sie sich an, wie die Mutter ihr zurief, wie «unfassbar» und «unglaublich» das alles sei. Und dass «ganz St. Peter jetzt auf dich wartet.»

Kompletter Medaillensatz für DBS

Mit Silber für Fahnenträger Martin Fleig und Bronze für Anja Wicker gab es am Ruhetag der alpinen Athleten sogar einen kompletten Medaillensatz für den Deutschen Behindertensportverband (DBS). Doch das zweite Gold nach dem von Anna-Lena Forster in der Super-Kombination überstrahlte alles. Und war die Krönung des Auftritts von Leonie Walter und ihrer diesmal geschonten Zimmergenossin Linn Kazmaier. Nach zweimal Silber der 15 Jahre alten Kazmaier und zuvor zweimal Bronze für Walter hat das sehbehinderte Teenager-Duo aus der «Küken-WG» nun schon fünf Medaillen geholt.

«Das ist über alle Erwartungen hinaus», sagte DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher. Der 75-Jährige war außer Atem, er war auf der Ziellinie neben Walter hergelaufen, um sie anzufeuern. «Und nun strahle ich mit der Sonne um die Wette», sagte er.

Rombach über Walter: «Coole Socke»

«Ich habe erstmal Bier in die Wachskabine gebracht», berichtete derweil Deutschlands Chef de Mission Karl Quade. Verdient, wie Bundestrainer Ralf Rombach fand. «Das war auch eine Materialsache», sagte er: «Aber wie Leonie in so jungen Jahren die Nerven behält, ist schon sehr besonders. Sie ist einfach eine coole Socke.»

Dass die zuvor stets direkt vor Walter platzierte Kazmaier am Dienstag pausierte, sei dennoch kein Fehler gewesen, beteuerten alle. «Man muss vorsichtig sein, was man einem 15-jährigen Körper zumutet», sagte Beucher. Quade erklärte, man könne eine so junge Athletin nicht sechsmal starten lassen. «Wer weiß, was man damit nachhaltig kaputtmacht», meinte er. Und Rombach stellte gleich die nächste Überraschung in Aussicht: «Linn wollte gerne für den Sprint am Mittwoch viele Körner haben.»

Kritik an der Klassifizierung

Bei den erfahrenen nordischen Athleten war es nicht so gelaufen, doch es folgte die Erlösung. Wicker wurde von Oksana Masters jubelnd im Ziel empfangen. Über die Bronzemedaille der Stuttgarterin schien sich die US-Amerikanerin fast mehr zu freuen als über ihr Silber. Denn Wicker hatte Bronze gleich vier nach ihr einlaufenden Chinesinnen entrissen. Und deren Klassifizierung hatte Masters dieser Tage in Frage gestellt.

Der besondere Jubel habe «sicher damit zusammengehangen.» Was die Kritik an der Klassifizierung beträfe, «bin ich ja auch ganz bei ihr», sagte Wicker, die laut Beucher «bärenstark» gelaufen war. Auch Fleigs Leistung sei «sensationell» gewesen: «Und das, nachdem er bisher so enttäuscht war.» In den ersten beiden Rennen hatte der Freiburger Rang fünf und neun belegt. Wicker war einmal Fünfte geworden und hatte auf den zweiten Start verzichtet.

Fleig erklärte deshalb auch, er sei «mega erleichtert und superhappy. Ich war vor heute schon stolz wie Harry auf unser Team, weil ich mich mega für die Jungen gefreut habe. Jetzt selbst auf dem Podium zu stehen, ist aber auch sehr cool.»

Von Holger Schmidt und Tobias Brinkmann, dpa