27. November 2024

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Ovtcharov und Krieg: Wir mussten «klar Stellung beziehen»

Kaum ein anderer deutscher Spitzensportler wurde von dem russischen Angriff auf die Ukraine persönlich so getroffen wie der in Kiew geborene Tischtennis-Star Dimitrij Ovtcharov.

Er wurde in Kiew geboren. Seine Großmutter lebte noch in den ersten Kriegstagen in der ukrainischen Hauptstadt. Er spielte mehr als elf Jahre für den besten russischen Club. Sein Vater war früher sowjetischer Meister.

Kaum ein anderer deutscher Spitzensportler und seine Familie wurden von dem russischen Angriff auf die Ukraine persönlich so getroffen wie der Tischtennis- Nationalspieler und frühere Weltranglisten-Erste Dimitrij Ovtcharov.

Ovtcharov: «An Tischtennis war nicht zu denken»

Der 33-Jährige half in den vergangenen Wochen, seine Oma aus dem umkämpften Kiew nach Deutschland zu holen und auch anderen Kriegsflüchtlingen in seinem Lebensmittelpunkt Düsseldorf eine Wohnung zu organisieren. «Erst mal habe ich tagelang an Tischtennis überhaupt nicht denken können. Die Zeit war aufreibend», sagte der Olympia-Dritte. In Interviews der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» und der «Süddeutschen Zeitung» hat er nun – abgesehen von einem Instagram-Post – zum ersten Mal öffentlich darüber gesprochen.

Ovtcharovs Priorität war klar: erst die Familie, dann die sportliche Zukunft. Seine 85-jährige Großmutter habe in Kiew «zwei-, dreimal selbst probiert, in den Zug am Hauptbahnhof zu steigen. Da waren ja Tausende von Menschen dort, das Gedränge war riesengroß, sie schaffte es einfach nicht hinein», erzählte er der «FAZ».

Später habe «ein alter Tischtennis-Freund meines Vaters» angerufen, der seine Familie ins Ausland bringen wollte. «Er selbst musste in der Ukraine bleiben und das Land verteidigen. Er bat meinen Papa, ihm bei der Wohnungssuche und den Behördengängen zu helfen, weil niemand in der Familie Deutsch spricht. Im Gegenzug nahm der Freund meine Oma mit.»

Vertrag bei Fakel Orenburg gekündigt

Erst als sie in Sicherheit war, kündigte Ovtcharov seinen Vertrag mit dem russischen Spitzenclub Fakel Orenburg, mit dem er seit 2010 vier Mal die Champions League gewann und der von dem russischen Energie-Unternehmen Gazprom gesponsort wird. «Am ersten Tag des Krieges war uns klar: Jetzt geht es nicht mehr. Obwohl die Menschen im Verein nichts mit dem Krieg zu tun haben, mussten wir klar Stellung beziehen», sagte der Weltklasse-Spieler der «SZ».

Doch insbesondere für jemanden mit Ovtcharovs Familiengeschichte verläuft die Trennlinie nicht einfach zwischen Russen und Ukrainern. Sein Vater spielte noch für den Staat, dem Russen, Ukrainer und auch Belarussen bis 1991 zusammen angehörten. «Er war Nationalspieler für die Sowjetunion. Und egal ob ich in der russischen Liga gespielt oder bei Turnieren ukrainische Funktionäre getroffen habe, alle wollten immer wissen, wie es meinem Vater geht», erzählte Ovtcharov.

Einer seiner engsten Freunde ist der dreimalige Europameister Wladimir Samsonow aus Belarus, das in diesem Krieg die Russen unterstützt («Wir telefonieren regelmäßig. Er ist sehr traurig.») Und wenn Ovtcharov in diesem Sommer zum TTC Neu-Ulm nach Deutschland zurückkehrt, wird er zusammen mit den russischen Nationalspielern Lev Katsman, Wladimir Sidorenko und Maksim Grebnew in einem Club spielen und beim russischen Trainer Dimitri Masunow trainieren.

Wunsch nach «klarer Distanzierung»

Ovtcharovs Credo ist: «Ich hätte nur ein Problem damit, wenn sie den Krieg befürworten würden. Dann könnte ich nicht mit ihnen spielen. Aber das gilt für alle Spieler, ganz egal, aus welchem Land sie kommen: Sie müssen sich von dem russischen Krieg klar distanzieren.»

Aus diesem Grund kritisiert der 33-Jährige auch, dass russische und belarussische Sportlerinnen, Sportler und Teams pauschal von Wettbewerben wie der Fußball-WM oder dem Tennisturnier in Wimbledon ausgeschlossen werden. Der russische Tennisprofi Andrej Rubljow habe den Krieg «schon am ersten Tag klar verurteilt». Es sei dann «traurig und ungerecht für Einzelsportler wie ihn, die ihren Beruf nur deshalb nicht ausüben können, weil sie den falschen Pass besitzen. Am Ende ist Sport nur Sport. Die Athleten können nichts dafür.»

Von Sebastian Stiekel, dpa