22. November 2024

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Ohne Flagge und Hymne: So kämpft Russland um Medaillen

Die stolze Sportnation Russland kämpft bei Olympia trotz der Sanktionen wegen Dopings in großer Stärke um viele Medaillen – und ihren Ruf. Dabei warnt Präsident Putin vor den Sommerspielen in Tokio eindringlich vor einer Politisierung der Wettkämpfe.

335 Athletinnen und Athleten gehen für die wegen Doping-Strafen in Verruf geratene Sport-Großmacht Russland bei den Olympischen Spielen in Tokio an den Start.

Das sind rund 60 mehr als 2016 in Rio. Und Stanislaw Posdnjakow, Olympiasieger im Säbel-Fechten und heute Präsident des russischen Nationalen Olympischen Komitees (NOK), ist heilfroh, dass die Sportlerinnen und Sportler mit neutralem Status antreten dürfen. Sowohl die russische Flagge als auch die Hymne hat die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) bei den Spielen, die am 23. Juli beginnen und bis 8. August dauern, verboten.

«Ich möchte sagen, dass sich die Anti-Doping-Situation in Russland in eine gute Richtung entwickelt», sagt Posdnjakow. In jedem Sportverband sei in diesem Jahr ein Experte für den Kampf gegen Doping eingestellt worden.

Verbotene Substanz bei Ruderer

Dabei mussten die Russen erst Anfang des Monats die beiden Ruderer Nikita Morgatschjow und Pawel Sorin wegen eines positiven Ergebnisses bei einem Doping-Test aus der Aufstellung für die Olympischen Spiele in Tokio nehmen. Bei beiden war die verbotene Hormonsubstanz Meldonium nachgewiesen worden, die eine höhere Belastbarkeit und schnellere Regeneration bewirkt.

Posdnjakow sprach von einem «eklatanten Vorfall». «Das ist mir völlig unverständlich», meint der 47-Jährige, weil Sportler trotz Schulungen offenbar weiter bewusst zu dem Präparat griffen. «Die Verwendung von Meldonium ist der dümmste Verstoß überhaupt», schimpft er mit Blick auf die rund 40 wegen der Strafen nach illegalem Meldonium-Gebrauch gesperrten russischen Sportler.

Nur zehn Leichtathleten

Unter den 185 Russinnen und 150 Russen, die in Tokio um Medaillen kämpfen, sind nur 10 in den Leichtathletik-Disziplinen vertreten. Antreten werden die Hochspringer Ilja Iwanjuk, Michail Akimenko und Maria Lassizkene sowie die Stabhochspringerin Anschelika Sidorowa. Im Olympia-Kader sind auch Darja Klischina (Weitsprung) und der gerade vom Dopingverdacht freigesprochene Sergej Schubenkow (110 Meter Hürden), der Zehnkämpfer Ilja Schkurenjow, Wassili Misinow und Elwira Chassanowa (beide Gehen) sowie der Hammerwerfer Waleri Pronkin.

Der russische Leichtathletik-Verband bleibt zwar suspendiert, wie es der Weltverband 2015 vor dem Hintergrund staatlich geförderten Dopings beschlossen hatte. Seit Mitte März dürfen aber einzelne Sportlerinnen und Sportler wieder eine individuelle Starterlaubnis beantragen. Damit sollen saubere Athletinnen und Athleten wieder die Chance auf Wettkämpfe haben. Mehrere Anträge waren abgelehnt worden.

Ziel: Platz drei im Medaillenspiegel

NOK-Chef Posdnjakow erwartet trotz allem eine schillernde Eröffnungsfeier in Tokio, bei der erstmals eine Frau und ein Mann als Fahnenträger auftreten: die Fechterin Sofia Welikaja und der Volleyballer Maxim Michailow. Offizielle Vorgaben gebe es nicht für die Mannschaft, sagt der NOK-Chef. Dennoch will er Russland im inoffiziellen Medaillenspiegel auf dem dritten Platz sehen – nach Rang vier 2016. Als Leiter der russischen Delegation erwartet er 50 Medaillen – 56 waren es in Rio mit geringerer Teamstärke.

Sollten die Sportler und Sportlerinnen gewinnen, werden sie aber nicht unter russischer, sondern unter neutraler Olympia-Flagge geehrt. Auch die russische Nationalhymne darf nicht gespielt werden. Sie wird durch das Klavierkonzert Nummer 1 von Peter Tschaikowsky ersetzt.

Ihr Training absolvieren viele auch wegen der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie in Tokio im äußersten Osten Russlands in Wladiwostok, das nur eine Stunde Zeitunterschied zu Tokio hat. Das Kommando sei professionell aufgestellt, sagt Sportminister Oleg Matyzin in der Pazifikmetropole. Allerdings beklagen die russischen Funktionäre auch, dass viele Athletinnen und Athleten es trotz Warnungen vor der Gefahr des Virus versäumt hätten, sich impfen zu lassen. Nun reiche die Zeit nicht mehr.

Putins Sorgen

Doch die Pandemie und die Schatten des Dopings sind längst nicht die einzigen Probleme, auf die sich die Russen einstellen. Russlands Präsident Wladimir Putin warnte Ende Juni bei einem Empfang für die Mannschaft vor politischen Attacken. «Das Thema der Politisierung des Sports ist bedauerlicherweise sehr aktuell», meinte der 68-Jährige. Immer wieder macht der Kremlchef deutlich, dass er Vorwürfe aus dem Westen gegen die stolze Sportnation für politisch motiviert hält.

Die russische Zeitung «Wedomosti» berichtete nun, dass die Athletinnen und Athleten zur Vorbereitung auf provokante Fragen ausländischer Journalisten erstmals einen Merkzettel mit vorgegebenen Antworten bekämen. Ein Standardsatz lautet, dass Sport und Politik zu trennen seien. Putin gab seinen Landsleuten beim Kreml-Empfang mit auf den Weg, dass ganz Russland mit «Wärme im Herzen» bei ihnen sei. «Ihr seid für uns immer die Besten. Ich wünsche Euch von ganzem Herzen schillernde Siege, einen würdigen und einen ehrlichen Kampf.»

Von Ulf Mauder, dpa