Auf der Busfahrt zurück ins fränkische EM-Quartier erreichte Julian Nagelsmann und die in Stuttgart euphorisch gefeierten Fußball-Nationalspieler auch noch die frohe Kunde vom EM-Patzer der Schweizer.
Nach deren 1:1 gegen Schottland reicht am Sonntag (21.00 Uhr/ARD und MagentaTV) in Frankfurt schon ein Unentschieden gegen die Eidgenossen, um den Gruppensieg als nächstes Nahziel bei der Heim-EM perfekt zu machen.
Die Fans freilich denken längst in anderen Sphären. Nach dem 2:0 gegen Ungarn sangen sie schon vom Finale: «Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!» Nagelsmann stört die Euphorie nicht – er nahm aus Stuttgart viele für ihn wichtige und positive Erkenntnisse mit.
Die Fans lieben das Nationalteam wieder
Das Sommermärchen-Gefühl kehrt zurück. Mannschaft und Fans verschmelzen nach Jahren der Entfremdung und der sportlichen Misserfolge wieder zu einer Einheit. Einstimmen in die «Berlin, Berlin»- Gesänge mochte Nagelsmann allerdings so früh im Turnier nicht. «Nee, ich sing nicht mit. Ich muss meinen Job machen, und wir als Gruppe müssen unseren Job machen.» Aber bremsen will er die Menschen nicht. Titelträume sind ausdrücklich erlaubt. «Die Fans dürfen von allem träumen. Unser Job ist es, sie weiter träumen zu lassen.»
Die Fans sind schließlich ein zentraler Bestandteil in Nagelsmann Turnierstrategie. Auch der Bundestrainer saugt die Party-Stimmung nur zu gerne auf. Von einer «genialen Stimmung» sprach er in Stuttgart, schon vor dem Spiel beim Fanmarsch am Teamhotel vorbei. Und dann erst im Stadion: «Zwischendrin haben die Fans immer mal die Nationalhymne gesungen. Das finde ich auch einen sehr emotionalen Moment. So etwas gefällt mir unfassbar gut. Wir haben erfolgreiche und erfahrene Spieler. Trotzdem macht das was mit den Spielern. Das bewegt uns.»
Musiala zaubert und trifft weiter
Jamal Musiala war wieder ein zentraler Erfolgsfaktor. Der 21-Jährige erzielte das 1:0, sein zweites Tor im Turnier. «Er hat es brillant gemacht in beiden Spielen», lobte Nagelsmann. Er sage Musiala immer wieder, dass er einfach wie auf einem Bolzplatz kicken soll, ohne Druck, dafür mit purer Lust. Der Bayern-Profi ist auf dem Weg zu einem der Topstars dieser EM. Kapitän Ilkay Gündogan schwärmte: «Für mich ist Jamal unglaublich. Es ist so eine Freude, mit ihm zusammenzuspielen. Er ist jemand, der das Unerwartete machen kann in jeder einzelnen Situation. Er ist ein Unterschiedsmacher für uns. Ich liebe ihn, er ist ein kompletter Spieler, ein netter Kerl. Er kann einer der Besten werden.»
Der Kapitän wird zum Anführer
Gündogan und die Nationalelf – das scheint im reifen Alter von 33 Jahren endlich zu passen. Das 1:0 bereitete er mit vollem Körpereinsatz vor, das 2:0 erzielte er selbst. Nagelsmann hielt ein Plädoyer für den «smarten Spieler», der super gespielt habe: «Wir müssen ihm alle mehr vertrauen im Land. Wir müssen ihn einfach alle ein bisschen pushen, weil er uns auch pushen kann.» Gündogan hat weiter vorne, vor statt neben Toni Kroos, seinen besten Wirkungskreis gefunden. «Ich fühle mich extrem wohl in dieser Mannschaft», sagte er. «Ob ich jetzt ein Tor geschossen habe oder Player of the Match bin, das sind Bonusgeschichten.» Die Harmonie im Team sei auf einem extrem hohen Niveau. «Es macht riesigen Spaß, in ihr zu spielen.»
Die Mannschaft zeigt Widerstandskraft
So leicht und locker wie beim 5:1 gegen Schottland fiel das Siegen gegen Ungarn nicht. Viel harte Arbeit und Widerstandskraft waren nötig. Nagelsmann sprach von einem «Reifeprozess» in kurzer Zeit. Auch kritische Momente zu überstehen, bringe einem Team sehr viel, betonte Toni Kroos: «In der K.o.-Runde werden die auch da sein.»
Die Offensive funktioniert, aber auch die Defensive um Torwart Manuel Neuer und den beiden Abwehrtürmen Antonio Rüdiger und Jonathan Tah hielt den Angriffen stand. «Es gab Momente, die wir überstehen mussten», sagte Nagelsmann: «Wir haben uns gewehrt. Wenn mal irgendwas nicht stabil war, dann war Manu da, war Jona da, war Antonio da.»
Warum Nagelsmann der Gruppensieg so wichtig ist
Sechs Punkte für Deutschland, vier für die Schweiz: Im direkten Duell geht es nun um Platz eins. Und den will Nagelsmann unbedingt. «Es hat in allererster Linie eine Wirkung nach innen, ob du Erster oder Zweiter wirst», sagte Nagelsmann. Aber auch an die (Titel-)Konkurrenz. «Und der Achtelfinal-Gegner könnte kein Riesenbrocken sein», spekulierte der Bundestrainer.
Als Erster der Gruppe A würde das DFB-Team am 29. Juni in Dortmund auf den Zweiten der Gruppe C treffen. England sollte da Erster werden. Dänemark, Slowenien oder Serbien hieße dann der Gegner. Egal wer kommt, der Stuttgarter Turnierneuling Maximilian Mittelstädt sagte selbstbewusst: «Für uns ist alles drin.» Er meinte: im Achtelfinale – und darüber hinaus.
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