Befreit von aller Last freute sich Alexander Zverev über die La-Ola-Welle zum Empfang im olympischen Dorf.
Das Begrüßungsritual, Bilder seines Triumphs und mehr als 100 Mitglieder des deutschen Olympia-Teams sorgten für einen ergreifenden Abschluss seines denkwürdigen Tokio-Abenteuers. Nach einer kurzen Nacht verabschiedete sich der erste deutsche Tennis-Olympiasieger im Herren-Einzel am Montag um 9.30 Uhr Ortszeit aus seinem Domizil der vergangenen zwei Wochen. Mit seiner Goldmedaille stieg Zverev am späten Mittag am Flughafen Haneda in den Flieger nach Frankfurt.
«Möchte verstehen und analysieren»
Aufgewühlt und platt, aber super-glücklich wünschte sich Deutschlands bester Tennisspieler, «erst mal ein bisschen zur Ruhe» zu kommen. «Ich möchte verstehen und analysieren, was überhaupt passiert ist. In ein paar Tagen werde ich es wahrscheinlich besser wissen», sagte er. Sein Leben lang wird er wohl diesen 1. August 2021 nicht vergessen. Plötzlich hat er als zweiter Deutscher nach Sport-Legende Steffi Graf Einzel-Gold gewonnen. Plötzlich ist er der Aufmacher der Tagesschau.
Seinen Gold-Coup stufte der Hamburger im ersten Moment höher ein als einen Grand-Slam-Sieg. Einem Titel bei einem dieser vier Höhepunkte jedes Tennis-Jahres rennt Zverev noch hinterher. Sein Durchmarsch im Ariake Tennis Park könnte nun für dieses Ziel womöglich ein Wendepunkt in seiner Karriere sein. Aber ist das tatsächlich sein Durchbruch? Ist das der Sieg, der sein Tennis-Leben noch einmal hin zu noch größeren Erfolgen verändert? Kann er den Glauben an sich selbst auf die am 30. August beginnenden US Open übertragen?
Neues Bewusstsein durch Gold?
«Ich glaube, dass solche Siege ihm bewusst machen, dass er auf der größten Bühne auch die besten Leute schlagen kann und auch sein bestes Tennis spielen kann», sagte Davis-Cup-Teamchef Michael Kohlmann am Montag nach dem Check-in am Flughafen der Deutschen Presse-Agentur. «Wenn er weiß, dass er das, egal wo, so spielen kann, bin ich sicher, dass er das auch in New York wieder zeigen kann.»
In Tokio hatte sich der Weltranglisten-Fünfte von nichts und niemandem aufhalten lassen. Nicht von der Hitze, nicht davon, dass ihm seine gewohnte Crew mit dem Vater Alexander fehlte. Nicht von Novak Djokovic. So fokussiert, so zielstrebig, so emotional wie mit den Tränen nach dem Halbfinal-Wahnsinn gegen Djokovic hat man Zverev selten gesehen. Der bekennende Olympia-Fan versprühte Enthusiasmus.
Der Bundesadler auf dem Stirnband und die schwarz-rot-goldene Trainingsjacke schienen ihn zu stärken. Zverev spielte konstant wuchtig von der Grundlinie, sicher und dominant beim in der Vergangenheit manchmal zittrigen Aufschlag. Das Endspiel mit dem 6:3, 6:1 lief überraschend spannungsfrei.
Wendepunkt gegen Djokovic
«Seit dem 2:3 gegen Novak habe ich vielleicht die vier besten Sätze meines Lebens gespielt. Ich hoffe, das bleibt so», sagte Zverev bei Eurosport und erinnerte damit an den Wendepunkt beim Stande von 1:6, 2:3 gegen Topstar Djokovic. Aber kann Zverev die serbische Nummer eins der Welt nun tatsächlich auch bei den US Open schlagen? Kann er die stärksten Konkurrenten ohne das Olympia-Flair und auch über drei Gewinnsätze bezwingen? Kohlmann meint ja. Und zeigte sich auch beeindruckt von der mentalen Entwicklung bei Zverev, die aber nicht mehr neu ist.
Den Nachweis, die Besten in Melbourne, Paris, Wimbledon oder New York bezwingen zu können, ist Zverev bisher schuldig geblieben. Noch hat der 1,98 Meter große Athlet keinen Profi aus den Top Ten bei einem Grand-Slam-Turnier besiegt. Dabei hätte man schon ein paar Mal denken können, dass er den Durchbruch geschafft hat. Etwa nach seinem Titelgewinn bei den ATP Finals 2018. Und nach seinem US-Open-Finale vor rund elf Monaten, das er zwar nach 2:0-Sätzen gegen den Österreicher Dominic Thiem verlor, aber aus dem er Motivation zog. «Die ersten zwei Sätze bei den US Open waren der Maßstab. Das war überragend. Das hat er hier auch abgerufen», erklärte Kohlmann.
Beim Team-Essen mit dem Herren-Chef des DTB und mit Sportdirektor Klaus Eberhard in der Mensa des olympischen Dorfs ließ Zverev am Sonntagabend seinen Erfolg in Tokio Revue passieren. Er hatte mit seiner Familie telefoniert, ein paar Glückwünsche beantwortet, ein Selfie hier und dort geknipst und den ebenfalls aus Hamburg stammenden Hockey-Bundestrainer Kais al Saadi umarmt.
Wann der Weltranglisten-Fünfte wieder auf der Tennis-Tour einsteigt, wusste er noch nicht. Seinen Plan, schon in der kommenden Woche beim Masters-1000er-Turnier in Toronto anzutreten, wird er womöglich ändern, um zumindest ein wenig den Erfolg zu genießen und zu verarbeiten. «Ich werde mir vielleicht ein, zwei Wochen Zeit nehmen und vielleicht ein paar Turniere ausfallen lassen», kündigte Zverev an. «Das ist doch ein besonderer Moment für mich. Aber bei den US Open bin ich wieder dabei.»
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