Thomas Müller drängelte sich einfach vor. Mit energischem Armeinsatz schob Hansi Flicks Turnier-Guru vor der ersten Übung beim Training der Nationalmannschaft seine Kollegen freundlich, aber bestimmt zur Seite.
Nach der klaren WM-Ansage von Kapitän Manuel Neuer signalisierte auch der zweite Münchner Rio-Weltmeister, dass er auf dem eingeschlagenen Weg Richtung nächster Titelmission in Katar jetzt mit all‘ seiner Erfahrung vorangeht – auf und neben dem Platz.
«In 90 Minuten kann alles passieren. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Was die Philosophie betrifft, sind wir gerade dabei, das zu schärfen», beschrieb Müller die von Bundestrainer Flick formulierte Mentalitätsvorgabe für die kommenden neun Monate.
Müller setzt auf «Leidensfähigkeit» und ein «Quäntchen Glück»
Müller selbst hat bei seinen so unterschiedlichen WM-Erlebnissen 2010 (Dritter), 2014 (Weltmeister) und 2018 (Vorrunden-Aus) für sich schon erfahren, dass es darauf ankommt, in den besonderen Momenten die richtigen Entscheidungen zu treffen. «Leidensfähigkeit» und ein «Quäntchen Glück» brauche man im Turnier. Klar ist für Müller: «Wir wollen aktiv auf dem Fußballplatz stehen und diesen Titel ins Visier nehmen», sagte er im Team-Hotel vor den Toren Frankfurts.
Matthias Ginter, ein weiterer von vier verbliebenen Rio-Weltmeistern im aktuellen Aufgebot, pflichtete kurz darauf auf dem DFB-Podium bei: «Wir sind alle heiß. Wir haben einiges vor. Es kommen noch ein paar Kracher, da gilt es, uns bestmöglich einzuspielen Richtung WM.»
Gnabry mit Grippe-Symptomen
Drei Tage vor dem Test gegen Israel musste Flick erstmal wieder personell reagieren. Sein sonst so mächtiger Bayern-Block ist wegen Grippe-Symptomen bei Serge Gnabry auf Quartett-Größe geschrumpft. Alle vier Corona-Tests des Angreifers waren negativ. Dennoch reiste der 26-Jährige sofort aus dem Teamhotel ab. Der Bundestrainer nominierte den Dortmunder Julian Brandt für den Test-Doppelpack am Samstag (20.45 Uhr/ZDF) in Sinsheim und drei Tage später in Amsterdam gegen die Niederlande nach, um wieder über 23 Akteure zu verfügen.
90 Minuten – für die Länge eines Fußballspiels – hatte Müller am Vorabend mit seinen Kollegen einer anderen Katar-Lektion gelauscht. Die von DFB-Direktor Oliver Bierhoff eingeladenen Menschenrechtsexperten von Amnesty International und Human Rights Watch klärten die DFB-Stars über die politischen Verhältnisse im umstrittenen Emirat am Golf auf. «Für uns als Sportler ist es schwer, das klar einzuschätzen», bemerkte Müller, der schon mehrfach mit dem FC Bayern im Winter-Trainingslager vor Ort war. Sein Versprechen: «Wir versuchen, mit offen Augen damit umzugehen.»
Katar-Kritik, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und Israel als Gegner mit gesellschaftspolitischer Tragweite: Die Nationalmannschaft ist in diesen Tagen wieder einmal eine besondere Projektionsfläche für viele schlimme wie schwierige Belange abseits des Fußballplatzes. Müller kann diese Themen moderieren und dennoch den Fokus auf die sportliche Jahresplanung mit der von Bierhoff zum «absoluten Höhepunkt am Schluss» titulierten WM legen.
Bundestrainer will maximale Leistungsfähigkeit
«Wenn ich mich auf ein WM-Jahr vorbereite, bin ich noch mehr mit meinen Gedanken dabei, wo man was optimieren kann, um alles bereitzustellen, was in einem drin steckt», sagte der 110-malige Nationalspieler. «Wieviel Training ist gut für einen? Was benötige ich, um alle drei Tage 100 Prozent Leistung abrufen zu können», stellte Müller als wichtige Fragen in den Raum. «Aktuell fühlen wir uns ganz gut, weil wir den Schwung mitgenommen haben», sagte er zum Sieben-Siege-Start unter Flick.
Maximale Leistungsfähigkeit hat der Bundestrainer auch zu seinem Schwerpunkt erkoren – und zuletzt erkennen lassen, dass er nicht frei von Sorgen nach vorne blickt. «Topfit» müssten alle Spieler sein. Darauf werde er den «Fokus ausrichten», kündigte Flick an. Bei den ersten Trainingseinheiten in Frankfurt wurde deutlich, dass jetzt die Zeit des intensiven Einstudierens begonnen hat. Müller kam wegen einer überlangen Übungseinheit erstmal verspätet zum Pressetermin.
Dort referierte er auch über Themen wie Ernährung, richtige Atmung und mentale Dinge wie den Umgang mit Druck. Diesen Belangen müssten sich alle immer wieder stellen, forderte der DFB-Routinier. Aber, typisch Müller: Ohne Spaß geht nichts. «Man braucht auch einen Schuss Lockerheit und Freiheit. Man muss dann sagen, jetzt spielen wir Fußball.» Die Unterstützung dazu spüre er gerade von seinem früheren Münchner Erfolgscoach Flick. «Ich hoffe, die Unterstützung führt uns zu Glanz und Gloria», sagte Müller mit Blick auf das große WM-Ziel.
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