22. November 2024

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Kreative Auszeit: Nationalspieler Havertz in der Krise

Er galt als größtes Talent im deutschen Fußball, doch die Karriere von Kai Havertz stockt. Im DFB-Team ist er nicht mehr erste Wahl, in der Liga wartet auf den Arsenal-Profi ein brisantes Wiedersehen.

Kai Havertz dürfte auf der Rückreise vom Amerika-Trip der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegrübelt haben. Unter dem neuen Bundestrainer Julian Nagelsmann ist der 24-Jährige augenscheinlich nicht erste Wahl. Gegen die USA (3:1) erst nach rund einer Stunde eingewechselt, gegen Mexiko (2:2) 90 Minuten auf der Bank – die Bilanz der zurückliegenden Länderspiele kann den früheren Bundesliga-Profi nicht zufriedenstellen.

Und sie erhöht den Druck auf ihn vor dem Duell zwischen seinem neuen Club FC Arsenal und seinem alten, dem FC Chelsea. Vom einst größten deutschen Hoffnungsträger zum Sorgenkind: Havertz steckt vor dem Londoner Stadtderby an der Stamford Bridge an diesem Samstag (18.30 Uhr) in einer sportlichen Krise.

Der Offensivmann habe seit seinem Wechsel im Sommer noch «nichts geleistet», sagte der französische Ex-Profi William Gallas, der früher selbst für Chelsea und Arsenal spielte, unter der Woche dem englischen «Mirror». Deutliche Kritik. Aber nicht die erste, die Havertz in der jüngeren Vergangenheit einstecken musste. Die technischen Fähigkeiten des früheren Stars von Bayer Leverkusen sind unbestritten.

Das Potenzial zur Weltklasse spricht ihm kaum ein Experte ab. Dass er in seinen Leistungen zu schwankend und auf dem Platz oft zu phlegmatisch sei, hört man aber immer häufiger. Die Diskussion, die über Havertz geführt wird, erinnert mitunter an jene, die lange Zeit auch Ex-Nationalspieler Mesut Özil über sich ergehen lassen musste.

Zwischenbilanz ernüchternd

Rund 75 Millionen Euro soll Arsenal Ende Juni für die Verpflichtung von Havertz an Chelsea überwiesen haben. Er freue sich auf die «familiäre Mentalität» bei den Gunners, hatte der gebürtige Aachener bei seinem Transfer gesagt. «Er wird einen großen Beitrag Extra-Stärke in unser Mittelfeld bringen», schwärmte Arsenal-Trainer Mikel Arteta.

Die Zwischenbilanz fällt allerdings ernüchternd aus: ein Tor hat Havertz für seinen neuen Verein bisher erzielt – per Elfmeter. Nur in zwei der bisherigen acht Liga-Partien spielte er durch, beim 1:0-Sieg bei Manchester City vor knapp zwei Wochen saß er die ersten 75 Minuten draußen.

Arteta wird nicht müde, seinem hochgepriesenen Neuzugang den Rücken zu stärken. Der spanische Coach schätzt die Vielseitigkeit des Deutschen. Womöglich ist genau die für Havertz aber ein Problem. Die ideale Position für den Kreativspieler ist noch nicht gefunden. Sowohl im Club als auch im Nationalteam wurde er in den vergangenen Jahren oft zwischen Zentrum und Außenbahnen hin- und hergeschoben.

Mit Lob überhäuft

Mal lief er an vorderster Front, mal als hängende Spitze, mal als klassischer Zehner auf. Auch bei Arsenal stand er zuletzt – wohl auch wegen des Wechsels von Granit Xhaka nach Leverkusen – etwas tiefer. Zur Entfaltung kam Havertz dort bisher nicht.

Schon früh in seiner Karriere war Havertz mit Lob überhäuft worden. Rekordnationalspieler Lothar Matthäus sah in ihm seinen potenziellen Erben als deutscher Weltfußballer. Nachdem er in der Saison 2018/2019 als gerade mal 19-Jähriger 17 Bundesliga-Tore für Leverkusen erzielt hatte, stand Havertz bei etlichen europäischen Topclubs auf dem Zettel.

2020 folgte der Wechsel zu Chelsea in die englische Premier League. Gleich in seiner ersten Saison mit den Blues gewann Havertz die Champions League und erzielte im Finale gegen City (1:0) das Siegtor.

Inzwischen stockt die Karriere des 40-maligen Nationalspielers. Im offensiven Mittelfeld der DFB-Elf schwingen sich mehr und mehr Jamal Musiala vom FC Bayern München und der Leverkusener Florian Wirtz zu den großen Hoffnungsträgern für die Heim-EM im kommenden Jahr auf. Mit erfrischender Leichtigkeit und Unbekümmertheit spielt das Duo auf. Wie einst Kai Havertz.

Christoph Lother, dpa