Marcus Urban glaubt fest daran. Eine Partie in der Fußball-Bundesliga, nach dem Schlusspfiff feiern die Spieler den Sieg mit ihren Familien – und einer von ihnen umarmt seinen Mann.
«Das wäre totale Freude, für mich ein Stück Heilung, für viele Menschen eine Befreiung», sagte Urban der ARD über seine Traum-Vorstellung. Doch was in Deutschland in vielen Bereichen längst Normalität ist, gilt im Profi-Fußball immer noch als schwer vorstellbar.
Urban will das ändern. Für diesen Freitag – den Welttag gegen Homophobie – hat der 53-Jährige ein Gruppen-Coming-out schwuler Fußballer geplant. Seit der Ankündigung vor einigen Monaten sind die Erwartungen groß. Nun wachsen aber ebenso die Zweifel. «Aktive Profifußballer halten sich noch zurück», sagte Urban dem Magazin «Stern». Kontakt zu schwulen Profifußballern habe er nicht direkt. «Keiner traut sich aus der Deckung.»
Und nicht alle sind von der Aktion restlos überzeugt. «Wir halten das für ein zweischneidiges Schwert», teilte das Netzwerk Queer Football Fanclubs (QFF) auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. «Ein Coming-out ist immer eine sehr persönliche Angelegenheit, die man wohl kaum konzertiert «veranstalten» kann.» Den Termin vor dem letzten Bundesliga-Spieltag hält das Netzwerk europäischer schwul-lesbischer Fanclubs für «eher ungünstig».
Klima verändert sich
Christian Rudolph, der Leiter der Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt beim Deutschen Fußball-Bund, wünscht sich statt einer Konzentration auf den Profifußball einen Blick auf den gesamten Sport. «Ich finde es schade, dass es noch notwendig ist, darüber zu sprechen und dass es leider noch keine Selbstverständlichkeit im Sport ist», sagte er der dpa.
Für den früheren Jugend-Nationalspieler Urban ist seine Kampagne «Sports Free» auch dann ein Erfolg, sollte am Freitag kein aktiver Fußball-Profi seine Homosexualität öffentlich machen. «Vor allem geht es um die Kultur und das Klima im Leistungssport», sagte er. Da habe sich etwas verändert, viele Bundesliga-Clubs unterstützten das Projekt. «Da entsteht gerade etwas Großes.»
Doch warum zögern Fußballer in Deutschland trotz des öffentlichen Zuspruchs und der Unterstützung von Vereinen? «Es ist nicht ausschließlich ein Problem im Profifußball, sondern auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen», sagte der frühere Nationalspieler Thomas Hitzlsperger zu Jahresbeginn der dpa. Sein Coming-out nach seiner aktiven Karriere liegt mittlerweile zehn Jahre zurück. «Es ist für viele Menschen immer noch ein Problem, wenn man von der gesellschaftlichen Norm abweicht», sagte der 42-Jährige.
Diese Einschätzung stützt auch eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov. 46 Prozent der Fußball-Interessierten in Deutschland sehen Homophobie im Profifußball demnach weiterhin als ernstes Problem. «Wir denken, dass die Gesellschaft zumindest in Deutschland und weiten Teilen Europas bereit wäre, das ist aber sicher nicht überall so. Hier ist nach wie vor viel Aufklärungsarbeit und Einsatz gefordert», heißt es vom Fan-Netzwerk QFF. Rudolph vermisst entsprechende Netzwerke im Sport generell: «Ich würde mir wünschen, dass sich Menschen zusammentun und über Erfahrungen sprechen.»
Coming-Out kann «vieles bewirken»
Urban sieht Probleme im Umfeld der Spieler. «Es ist ein riesiges Versteckspiel. Die schwulen Profis führen Doppelleben», sagte er. «Und dann gibt es Berater oder andere Personen im Umfeld, die trotz alledem von den Spielern verlangen: Sei nicht du selbst, verleugne dich, sonst gefährdest du deine Karriere. Das sind unhaltbare Zustände.» Viele Fußballer gingen davon aus, bei einem Coming-out in Ungnade zu fallen oder Sponsoren zu verlieren. «Ich glaube, das ist eine Fehleinschätzung.» DFB-Geschäftsführer Andreas Rettig sieht auch den Verband in der Pflicht. «Ich glaube, dass die Zeit mittlerweile zwar reif ist, aber dass die Atmosphäre und dieser Wohlfühlfaktor, den es braucht, um sich auch zu öffnen, das vermissen diejenigen, die es angeht. Und da müssen wir helfen», sagte er der ARD.
Hitzlsperger berichtete von «fast ausnahmslos positiven Reaktionen» nach seinem Coming-out. Dennoch ist kein aktiver Fußballer in Deutschland seinem Beispiel gefolgt. Der Australier Josh Cavallo, der Tscheche Jakub Jankto und der Engländer Jake Daniels wagten den Schritt, berichteten aber anschließend teils auch von homophoben Beschimpfungen. Im Handball mit dem Leipziger Lucas Krzikalla und im Volleyball mit dem Ex-Berliner Benjamin Patch gibt es immerhin vereinzelt Vorbilder. Umso größer sind die Hoffnungen in Urbans Initiative. «Das könnte vieles bewirken, das könnte vieles verändern», sagte Hitzlsperger.
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