Kai Havertz ist endlich auch da – und der junge neue Champion von Europa sprüht nur so vor Tatendrang. Die Fußball-EM soll nach dem Königsklassen-Triumph mit dem FC Chelsea gleich die nächste Stufe auf seinem vorgezeichneten Weg zum Weltklassespieler sein.
Das Finaltor gegen Manchester City hätte der 21-Jährige beim ersten Training im Kreise der Nationmannschaft zum Einstand beinahe gleich mal spiegelverkehrt nachgestellt. Bei einer Übungsform umkurvte er mit einer feinen Bewegung Torwart Bernd Leno und schoss den Ball dann mit dem schwächeren rechten Fuß an den Pfosten.
«Die letzte Woche war für uns gefühlt die beste Woche des Lebens», erzählte Havertz später und schloss seine Chelsea-Kollegen Timo Werner und Antonio Rüdiger dabei mit ein. Das Trio ist – anders als Finalverlierer Ilkay Gündogan – mit breiter Brust nach Österreich angereist. Auf dem Trainingsplatz war das gleich zu sehen, etwa, als Abwehrhüne Rüdiger den Ball mit Karacho ins Tor hämmerte und als Anerkennung von den Teamkollegen lautstarke «Toni»-Rufe erntete.
Mit viel Selbstvertrauen
Rüdiger gilt als gesetzt in der Abwehr. Offensivspieler Havertz dagegen muss wie Angreifer Werner kämpfen. Aber Havertz hat ganz viel Selbstbewusstsein mitgebracht, mit dem er bis zum EM-Start gegen Frankreich am 15. Juni Bundestrainer Joachim Löw so sehr von sich überzeugen will, dass er in der Startelf kommt. «Klar will ich gegen Frankreich spielen. Ich will Stammspieler sein», sagte Havertz.
Der Teamgeist in ihm betonte aber gleich mehrmals, dass bei einem Turnier persönliche Ambitionen niemals dominieren dürften. «Als Mannschaft möchte man ein Ziel erreichen. Da geht es nicht, dass man sein Ego darüber stellt.» Auf die Bank mag er trotzdem nicht (mehr). «Ich bin Fußballer, ehrgeizig und möchte jedes Spiel spielen.»
Suche nach Platz im DFB-Team
Am EM-Eröffnungstag (11. Juni) wird er 22 Jahre alt. Exakt einen Monat später möchte er in seiner neuen Wahlheimat London wieder in einem Endspiel stehen. Aber das ist noch weit weg. Erstmal geht’s um einen Platz in Löws Startelf. Havertz, für den Chelsea vor einem Jahr annähernd 100 Millionen Euro an Bayer Leverkusen zahlte, weiß auch, dass er in Rückkehrer Müller einen direkten Konkurrenten dazubekommen hat. «Thomas ist ein überragender Spieler», sagte Havertz über den Münchner. Beide spielen sie offensiv am liebsten im Zentrum.
Deckungsgleich ist ihr Profil aber nicht. Für Havertz lautet die Frage darum nicht: Müller oder Havertz? Auch Müller und Havertz ginge aus seiner Sicht. «Alles geht», lautet Havertz‘ Ratschlag an Löw.
Lob von einer Legende
Ein Jahrzehnt trennt den erfahrenen Müller (31) und den jungen, hungrigen Havertz (21), dem viele Experten eine ähnlich steile Karriere zutrauen. Wer etwa Ex-Nationalspieler Günter Netzer auf Havertz anspricht, hört den großen Spielmacher der 1970er Jahre schwärmen. «Das Schönste für mich an diesem Finale war, Kai Havertz zu sehen, wie er sich entwickelt hat. Er hat das bestätigt, was wir alle, die Fußball verstehen, in ihm sehen: Dass er ein absoluter Weltklassespieler sein kann», sagte der 76-jährige Netzer der Deutschen Presse-Agentur.
Havertz freute sich über dieses Lob «einer Legende» wie Netzer. Auf Weltklasseniveau sehe er sich freilich noch nicht: «Da fehlt immer noch viel mit 21.» In fünf, sechs Jahren will er da aber sein.
Das Finaltor und der Titelgewinn mit Chelsea sind für Netzer «ein Ausweis, der ihn verpflichtet, an diese Leistung anzuknüpfen. Dann ist er einer der Ausnahmespieler in der Welt, wenn dies bestätigt werden kann über die nächste Zeit». Havertz will gleich bei der EM anfangen: «Ich hoffe, dass der Champions-League-Titel Anschub gibt.»
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