21. November 2024

Sport Express

Express-Sport direkt aus der Arena

Haarstudio statt Turnhalle: Nguyen verabschiedet sich

Sein Ehrgeiz sollte ihn noch zu Olympia 2024 führen. Doch nun hat Marcel Nguyen genug. Der 35-Jährige, der zur Turner-Riege um Fabian Hambüchen zählte, hört auf. Seine Zeit weiß er gut zu füllen.

Einen seiner neuen kleinen süßen Weggefährten hatte Marcel Nguyen zur Erklärung seines Abschieds vom Weltklasse-Turnsport direkt mitgebracht. Geduldig wartete Akira unter einem Tisch, bis der zweimalige Olympia-Silbermedaillengewinner von 2012 fertig war.

Der Shiba Inu ist neben seinem Husky Beluga einer von zwei Hunden, für die der 35-Jährige nun Zeit gewonnen hat. «Es ist immer schwierig gewesen, das unter einen Hut zu bekommen. Jetzt habe ich auch ein bisschen Zeit, etwas anderes zu machen, ohne immer ein schlechtes Gewissen zu haben, dass ich nicht trainiert habe. Von daher kann ich es auch ein bisschen genießen», sagte der 35-Jährige.

In Fellbach in der Nähe von Stuttgart erläuterte Nguyen sein Karriereende, das schon am Vortag durchgesickert war. Eigentlich hatte er sich das Ende seiner Laufbahn ganz anders ausgemalt. Die Olympischen Spiele in Paris 2024 lautete sein Ziel. Nguyen musste aber einsehen, dass es keinen Sinn mehr macht. «Mein Körper hat es einfach nicht mehr mitgemacht. Ich habe alles versucht», erklärte der Stuttgarter, der für Unterhaching startet: «Ich stand im Training und habe überlegt, welches Gerät kann ich überhaupt machen. So macht es halt keinen Spaß mehr.»

Das Leben des Sportlers, der seit seiner Kindheit enorm viel Zeit in Turnhallen und Wettkampfstätten verbrachte, wird sich nun deutlich verändern – nicht nur wegen seiner zwei Hunde. Bei den Olympischen Spielen 2012 hatte er seine größten Erfolge gefeiert, als er mit Silber die erste Olympia-Medaille seit 24 Jahren für deutsche Turner am Barren erkämpfte. Zudem gewann er Silber im Mehrkampf.

Verletzungen bremsten Nguyen aus

Auch der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière war damals ein begeisterter Zuschauer des Mehrkampfs und würdigte in einer Videobotschaft die Leistung. «Da wird Deutschland noch lange darauf warten», sagte Bundestrainer Valeri Belenki und bedauerte den Verlust: «So ein Mann kommt wahrscheinlich einmal in 200, 300 Jahren auf die Welt. Er hat den passenden Körper dafür, ist spritzig, ist kräftig, nimmt nicht zu, orientiert sich sehr gut in der Luft.»

Immer wieder kam aber die nächste Verletzung und bremste Nguyen aus. Er wurde operiert, hat sich in der Reha geschunden. 2019 verpasste er wegen einer kaputten Schulter die Heim-WM in Stuttgart. Ein Kreuzbandriss zerstörte den Traum von der Teilnahme an den Olympischen Spielen 2021 in Tokio. Auch bei der Heim-EM im vergangenen Jahr in München fehlte er, weil sein Körper streikte. Nun hat er genug davon, sich zu quälen.

«Ich habe weiter Probleme mit dem Handgelenk, das jetzt letztendlich auch den Ausschlag gegeben hat, dass ich aufhöre. Das Knie ist auch nicht super», erklärte der WM-Dritte mit der Mannschaft von 2007. Er war letzter Verbliebener der goldenen Generation mit Philipp Boy und Fabian Hambüchen, der mit dem Olympia-Triumph in Rio 2016 die Turn-Bühnen verlassen hatte. «Natürlich ist es kein schönes Karriereende», räumte Nguyen ein. Aufgrund der vielen Verletzungen sei es aber die richtige Entscheidung, unterstrich Belenki. Schließlich gebe es noch ein Leben nach dem Sport.

Kosmetikstudio statt Turnhalle

Einen neuen Lebensinhalt hat Nguyen schon gefunden. Vor sieben Wochen habe er in München ein Kosmetikstudio zur dauerhaften Haarentfernung eröffnet. «Viele Sportler machen eine Turnhalle auf in anderen Ländern, das ist hier nicht möglich», sagte der Modellathlet mit den vielen Tattoos, die er früher für Belenki im Wettkampf abschminken musste. «Meine Rolle ist, das Ganze zu managen. Ich entferne keine Haare», sagte er schmunzelnd. Er finde es cool, etwas ganz Anderes zu machen.

Auch dass er nun essen könne, wann und worauf er Lust habe, sei ein Vorteil, meinte Nguyen und verabschiedete sich, nachdem er sich eine Brezel gegönnt hatte, gemeinsam mit seinem Hund. Den anderen habe er nicht mitbringen könne. Der sei noch ein bisschen «crazy», erklärte er.

Kristina Puck, dpa