22. November 2024

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«Großer Kämpfer»: Aleksandersen stemmt sich gegen den Krebs

Die Geschichte des Stuttgarter Volleyball-Trainers bewegt. Bemerkenswert geht Tore Aleksandersen mit seiner Krebserkrankung um. Der Norweger will um den Titel spielen.

Stuttgarts Volleyball-Meistertrainer gibt nicht auf. Tore Aleksandersen, 55 Jahre alt, hat Prostatakrebs im Endstadium.

Als Chefcoach des MTV Allianz Stuttgart, Hauptrundensieger der Frauen-Bundesliga, arbeitet der Familienvater dennoch weiter – so gut es eben geht, und so lange er kann. Die vergangenen Wochen waren schwierig, seine Werte hatten sich verschlechtert. Aleksandersen kann gerade nicht jedes Training leiten, das Team muss Spiele ohne ihn gewinnen.

Die Werte sind das eine, sein eigenes Gefühl das andere. «Momentan fühle ich mich jeden Tag besser. Ich mache gerade zwei unterschiedliche Therapien, und ich hoffe, sie zeigen eine große Wirkung», sagt der Coach. Aber ja, gerade sei es heftig, das sagt er auch. «Es ist keine Influenza. Das Energielevel ist nicht so super.» 

Abgesehen von den letzten «ein-, eineinhalb Monaten» habe er wenig Beschwerden gehabt. Er habe zugenommen, die Gelenke seien steifer geworden. «Aber es waren keine großen Probleme.» Dann hätten die Tabletten nicht mehr so gewirkt. «Vor 14 Tagen habe ich noch eine Lungenentzündung gekriegt. Ich brauche etwas Zeit, mich zu erholen.» 

Immuntherapie in Tübingen

Auch an diesem Montag hat er einen Termin zur Immuntherapie an der Uniklinik Tübingen, wie er erzählt. «Bei Krebs hat man keine Garantien. Bei einem funktioniert es hervorragend, beim anderen nicht so gut», sagt er. Offen geht er mit seiner Erkrankung um. Selbst in dieser Phase kommt er mit Ruhe rüber. Ruhe – so beschreiben es Menschen aus seinem sportlichen Umfeld – zeichnet ihn auch in den stressigsten Momenten eines Spiels aus.

«Er ist ein großer Kämpfer. Wie er mit seiner Situation umgeht, da kann man nur den Hut ziehen. Er muss aber jetzt auf seine Gesundheit achten», sagt die Stuttgarter Sportdirektorin Kim Oszvald-Renkema. Zuletzt war Aleksandersen auch mal nur kurz beim Training, er schrieb Whatsapp-Nachrichten und hielt emotionale Ansprachen am Telefon. 

Wer in der Stuttgarter Arena beim Auftritt des Doublesiegers der vergangenen Saison vorbeischaut, sieht Faruk Feray als Ersatz an der Seitenlinie hin- und hertigern. Und sieht, wie die Stuttgarterinnen sich überzeugend den ersten Hauptrundenplatz und damit die beste Ausgangssituation für die Playoffs sichern. «Momentan ist es so, dass ich am Abend am meisten müde bin», sagt Aleksandersen, «und es gibt gerade keine große Notwendigkeit, dass ich da bin.» Auf die stundenlange Bustour zum Auswärtsspiel nach Dresden am Samstag will er verzichten, zum Playoff-Start am 8. April zurück sein. 

«Jetzt ist ein Tief»

«Jetzt ist ein Tief. Es wird sich zum ersten Mal zeigen, wie wir damit umgehen», meint Barbara Roxana Wezorke. Die Mittelblockerin erzählt: «Es ging ihm die ganze Saison über gut. Er konnte fast alles mitmachen. Es gibt aber immer mal Phasen, wo er sich zurücknimmt. Dann empfinden wir Mitleid, wenn wir sehen, dass er leidet und sich ins Training quält.»

Die Diagnose hatte Aleksandersen schon erhalten, bevor er nach Stuttgart kam, er war gerade Trainer in der Türkei. Ende 2020 setzte der MTV Stuttgart dennoch auf ihn. «Weil er der richtige Mann für den Job war», sagt Renkema. «Wir wollten Titel gewinnen, das ist uns mit ihm gelungen.» 2022 feierte Aleksandersen mit seinen Spielerinnen die Meisterschaft und den Pokal, stand im Finale des europäischen CEV-Pokals. In dieser Saison erreichte das Team in der Champions League das Viertelfinale, schied am Ende ohne den Trainer aus. 

Der Prostatakrebs hat bei Aleksandersen gestreut. Anfangs sei davon nur die Wirbelsäule betroffen gewesen, mittlerweile sehr viel mehr, sagt er. «Ich finde es tatsächlich sehr beeindruckend, dass er immer noch so einen Ehrgeiz hat und immer noch auf alle Details achtet, die wir falsch machen, und er uns immer noch alles abverlangt», sagt Wezorke. Teamkollegin Marie Schölzel meint: «In seiner Situation noch so weiterzumachen, ist nicht selbstverständlich und zeigt, was er für ein Mensch ist.»

Volleyball als Glücksbringer

Volleyball macht Aleksandersen glücklich. Klar könnte er in seine Heimat nach Norwegen fliegen, im Wohnzimmer sitzen, Fernsehschauen oder spazieren gehen. «Aber das möchte ich nicht. Ich möchte so lange wie möglich ein ganz normales Leben leben», sagt er. Und der Sport gebe ihm auch Kraft.

Wie es weitergeht, ist schwer zu sagen. Für die kommende Saison hat sich der Club mit Konstantin Bitter von Schwarz-Weiß Erfurt abgesichert. Der 33-Jährige soll als Chef- oder als Co-Trainer arbeiten – je nachdem, wie es Aleksandersen geht. «Ich glaube, man muss so ehrlich sein, dass wir momentan nicht planen können», sagt Renkema: «Seine Zukunft ist sehr unsicher. Wir hoffen mit ihm, dass die Therapie anschlägt, und er bald wieder bei uns sein kann.»

Kristina Puck, dpa