Die euphorische Sprint-Weltmeisterin Denise Herrmann-Wick reihte sich in die Party-Polonaise ein und hüpfte zum Ballermann-Hit «Der Zug hat keine Bremse» durch den Oberhofer Hexenkessel.
Bei ohrenbetäubendem Lärm wurde das deutsche Biathlon-Team nach dem neuerlichen Gold-Coup der überragenden Sächsin beim WM-Heimspiel ausgelassen gefeiert. Im Tollhaus am Rennsteig hatte Herrmann-Wick nach einer perfekten Vorstellung schon im zweiten Rennen die ersehnte erste Medaille für die DSV-Skijäger eingefahren. Sie krönte sich über 7,5 Kilometer zur ersten deutschen Weltmeisterin in dieser Disziplin seit Magdalena Neuner 2012.
11.000 Fans peitschen DSV-Frauen an
«Ich bin total sprachlos. Es ist speziell und einmalig, hier zu gewinnen», sagte die ehemalige Langläuferin: «Es ist unfassbar, wie die Zuschauer einen hier pushen. Das macht etwas mit einem Athleten.» Angepeitscht von 11.000 Fans gelang ihr etwas, was nur die ganz Großen schaffen. Nämlich wie bei ihrem Olympiasieg im Einzel in Peking vor fast genau einem Jahr auf den Tag genau die Allerbeste zu sein – und das auch noch mit dem gigantischen Druck vor den eigenen Fans. «Das wagt man sich kaum zu träumen, dass so etwas hier passieren kann. Dass ich das heute erleben darf, ist umso schöner, mit Familie und Freunden am Streckenrand», sagte Herrmann-Wick: «Das ist unglaublich.»
Ihre Medaille bekommt sie allerdings nicht sofort, sondern erst am Samstagabend im Oberhofer Kurpark. «Das wird ein emotionaler Moment werden», sagte Herrmann-Wick, die zunächst noch keine große Party starten wird. «Feiern kann man jetzt noch nicht so, da muss man sich noch bis zum Ende der Saison gedulden. Aber man wird auf jeden Fall anstoßen», sagte die Älteste in der deutschen Mannschaft. Vielleicht gibt es auch noch «den einen oder anderen Süßkram», fügte sie an.
Herrmann-Wick nun Mitfavoritin in der Verfolgung
Alle hatten vor dem Start auf Herrmann-Wick geschaut. Von ihr wurde nicht weniger als eine Medaille erwartet. Sie hielt den Erwartungen mit einem fehlerfreien Schießen und der Laufbestzeit in imponierender Manier stand. «Die Euphorie war extrem groß. Heute war ich wirklich total aufgeregt, ich bin schon beim Einlaufen mit dem Puls nicht mehr runtergekommen.» Am Sonntag (13.25 Uhr/ZDF und Eurosport) ist sie nun eine der Topfavoritinnen in der Verfolgung und greift schon nach ihrer zweiten Medaille am Grenzadler. «Da bin ich die Gejagte», sagte Herrmann-Wick, hat davor aber keine Angst.
Die Wahl-Ruhpoldingerin sicherte sich auch dank einer fulminanten Schlussrunde ihren zweiten WM-Titel nach 2019 in der Verfolgung. Am Ende hatte sie ganze 2,2 Sekunden Vorsprung vor der Schwedin Hanna Öberg, deren Teamkollegin Linn Persson Dritte wurde. Sophia Schneider schaffte es bei ihrem WM-Debüt als starke Siebte auch in die Top Ten.
«Sie ist die Mami bei uns im Team – und wenn die Mami Gold holt, sind wir alle happy», sagte Schneider, die sich einen positiven Effekt erhofft, über Herrmann-Wick: «Generell nimmt uns das den Druck, wenn wir schon mal eine Medaille haben.»
Um 14.42 Uhr startete Herrmann-Wick mit Startnummer 24 ihre Goldmission. Überlegt ins Rennen gehen und nur nicht überziehen – das war die Marschroute vor dem ersten Schießen, die sie wie geplant umsetzte. Zwar dauerte ihr Liegendschießen 32,6 Sekunden – doch am Ende fielen alle fünf Scheiben. Vor dem finalen Stehendschießen hieß es dann Nerven bewahren – einige der Favoritinnen hatten da schon Federn lassen müssen. Doch nicht Herrmann-Wick.
Für sie schließt sich nun ein Kreis. Olympiasiegerin, Gold bei einer Heim-WM, dazu noch ein weiterer Weltmeistertitel. Nach ihrem Umstieg vom Langlauf 2016 hat sie endgültig ihre Spuren in der deutschen Biathlon-Geschichte hinterlassen.
Mit neuer Lockerheit zum Erfolg
Neben ihrem Hang zur Perfektion – sich selbst bezeichnet sie als ihren «Endgegner» – ist es vor allem ihre Akribie und Leidenschaft für den Sport, der die 34-Jährige nach dem späten Wechsel zu den Skijägerinnen zu einer ganz Großen werden ließ.
Und der größtmögliche Erfolg im Sport beeinflusste auch ihr Denken: Alles kann, nichts muss, ist jetzt ihr Motto. Diese Lockerheit im Kopf überträgt sie auf ihre Leistung. «Denise ist eine wahnsinnig beeindruckende Athletin, die trotz ihrer Erfolge immer noch ein bisschen herauskitzeln will», sagte Sportdirekotr Felix Bitterling nach dem Sieg: «Es geht nicht besser, besser kann man sich das nicht erträumen. Das war ein toller Tag.»
Locker und gelöst tritt Herrmann-Wick schon seit Saisonbeginn auf. Auch Tage, an denen es nicht wie erhofft läuft, werfen sie nicht aus der Bahn, sind eher Motivation. Die gibt ihr auch ihre große Liebe – Ehemann Thomas Wick. Er gebe ihr Sicherheit und Halt im Leben, zudem ist der früherer Langläufer (31) wichtiger Ratgeber.
Oberhof für Herrmann-Wick die letzte WM?
Nach der Hochzeit im vergangenen September und der Veröffentlichung ihres Buches laufen nun die Planungen für den Hausbau in ihrer Wahlheimat Ruhpolding, im Sommer soll es losgehen. Und vielleicht hat dann auch Herrmann-Wick mehr Zeit.
Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass Oberhof ihre letzte WM ist. «Das Gefühl wird eines Tages kommen», hatte Herrmann-Wick, angesprochen auf einen möglichen Rücktritt, vor der WM in einem Interview des Weltverbandes IBU gesagt. Denn der größte Traum ihres Lebens das sind nicht Goldmedaillen, sondern Familie und Haus. «Mein Leben wird weitergehen. Vielleicht nicht mehr so schnell und mit so viel Laktat.»
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