23. November 2024

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Fußball in der Ukraine: Dem Kriege zum Trotz

Deutschland empfängt im 1000. Länderspiel die Ukraine - auch als Zeichen der Solidarität mit dem überfallenen Land. Fußball soll der Ukraine den Glauben an die Zukunft zurückgeben. Kann das gelingen?

Im Schatten des andauernden russischen Angriffskrieges ist am vergangenen Wochenende in der Ukraine die Fußballsaison mit einer unbedeutenden Niederlage von Schachtar Donezk zu Ende gegangen.

Mit einem Erfolg gegen den Zweitplatzierten Dnipro 1 hatte das mit Nationalspielern gespickte Schachtar bereits am vorletzten Spieltag den Titel perfekt gemacht – seinen 14. seit der Unabhängigkeit der Ukraine. 

Und doch wurde schon vor dem Anpfiff deutlich, dass Fußball im Land derzeit allenfalls eine Randerscheinung ist. Das Spiel begann mit einer Schweigeminute für die Kriegsopfer, doch auch während des durchaus munteren Kicks war von den Tribünen kaum ein Laut zu hören. Das Titel bringende 3:0 gegen Dnipro 1 hatte Schachtar in der westukrainischen Stadt Lwiw (Lemberg) vor leeren Rängen herausgespielt. Den Schlusspunkt setzte Taras Stepanenko, der auch beim Länderspiel gegen Deutschland am Montag (18.00 Uhr/ZDF) in Bremen eine Schlüsselrolle für die ukrainische Nationalmannschaft spielen soll.

Schachtar die Fremde gewohnt

Schachtar ist es gewohnt, in der Fremde zu spielen. Seit 2014, nachdem die prorussischen Separatisten in der ostukrainischen Industriemetropole Donezk die Macht übernommen hatten, ist das Team von Oligarch Rinat Achmetow praktisch ständig auf Reisen. Die Kicker trainieren und wohnen in Kiew. Seine «Heimspiele» hat der Club abwechselnd in Lwiw, Charkiw und Kiew ausgetragen. In dieser Saison kamen Uschhorod, Minai und Riwne als Austragungsorte hinzu. Im Europapokal musste Schachtar in Polens Hauptstadt Warschau antreten; eine Reise von Hunderten Kilometern.

Im Gegensatz zu früheren Jahren ist Schachtar aber nicht der einzige Club auf Reisen. Östlich von Kiew konnte praktisch nicht gespielt werden. So mussten 13 der 16 Premier-Liga-Teams zumindest einmal außerhalb ihrer eigenen Region zu «Heimspielen» antreten. Dass die Fans wegbleiben, ist angesichts der vielfältigen Probleme, die die Menschen im Krieg in der Ukraine unter dem russischen Raketen- und Drohnenterror haben, nachvollziehbar.

Und doch ist die Saison ein Riesenerfolg. Im Mai 2022 noch waren Bilder von Verbandspräsident Andrij Pawelko um die Welt gegangen. Der 46-Jährige stand mit einer Schutzweste bekleidet im zerstörten Stadion von Tschernihiw, einer Stadt im Norden der Ukraine. Die Tribünen waren nach russischen Bombenangriffen eingebrochen, der Rasen ebenso beschädigt wie die Trainingsräume und die sportärztliche Abteilung. 

Die Saison war zu dem Zeitpunkt schon lange abgebrochen worden, viele Spieler flüchteten ins Ausland. Die Entscheidung, den Spielbetrieb wieder aufzunehmen, fiel auf oberster Ebene. «Ich habe mit Präsident (Wolodymyr) Selenskyj darüber gesprochen, wie wichtig der Fußball ist, um abzulenken», sagte Pawelko im Sommer. Alle seien auf den Krieg fokussiert, doch der Fußball habe die Kraft, den Menschen den Glauben an die Zukunft zurückzugeben, so der Fußball-Funktionär.

«Match for Peace. Stop the War»

Die Clubs bereiteten sich in Europa auf die neue Saison vor – und sammelten nebenbei Geld für Kriegsopfer, ukrainische Kinder, die ihre Eltern verloren haben. Rekordmeister Dynamo Kiew organisierte eine Tournee «Match for Peace. Stop the War». 

Als Schachtar in der Winterpause Mychajlo Mudryk für die Rekordsumme von 100 Millionen Euro an den FC Chelsea verkaufte, spendete Clubchef Achmetow ein Viertel davon für einen Fonds zur Unterstützung der Verteidiger von Mariupol. Die Stadt im Süden des Donbass-Gebiets war im vergangenen Frühjahr nach blutigen Kämpfen von den Russen zerstört und erobert worden. Die letzten Verteidiger im Stahlwerk Azovstal harrten monatelang aus und werden in der Ukraine als Helden verehrt. Achmetows Spende soll für medizinische Behandlung, psychologische Betreuung, Prothesen und ähnliches verwendet werden. 

Damit wollte sich der Milliardär auch vom Generalverdacht der politischen Unzuverlässigkeit reinwaschen. Lange galt er als graue Eminenz hinter dem korrupten und 2014 außer Landes geflüchteten Präsidenten Viktor Janukowitsch. Achmetows Patriotismus wurde bezweifelt, verhandelte er doch auch immer wieder mit den Separatisten, die die Macht in jener Region an sich gerissen hatten, in der er reich geworden war. Doch nach Kriegsbeginn hörte das auf – und auch Achmetow hat sich inzwischen klar zu Kiew bekannt.

Das heimatlose Schachtar ist gewissermaßen zum Symbol des neuen Patriotismus in der Ukraine geworden. Selbst den Namen hat man vom russischsprachigen Schachtjor (Bergmann) in Schachtar geändert. Der Verein präsentiert das Land nach außen, bei seinen internationalen Auftritten fiebern wie bei Spielen der Nationalmannschaft Fans im ganzen Land mit. 

Rebrow feiert Einstand

Und sportliche Erfolge sind wichtig für das kriegs- und krisengeplagte Land, das bei der Qualifikation für die WM in Katar erst an der letzten Hürde gescheitert war. Nun soll die frühere Dynamo-Legende Serhij Rebrow als Nationaltrainer die Mannschaft zu neuen Erfolgen führen. Der am Mittwoch installierte neue Chefcoach feiert gegen Deutschland seinen Einstand an der Seitenlinie.

Große Hoffnungen hat Kiew auch mit der Fußball-Weltmeisterschaft 2030 verbunden, für die sich die Ukraine als Mitausrichter beworben hat. Viele Menschen erinnern sich noch gern an die EM 2012 zurück, die die Ukraine gemeinsam mit Polen ausrichtete und die einen großen Schub für die Modernisierung des Landes und den Ausbau der Infrastruktur bedeutete.

Die Chancen allerdings haben sich wegen eines Korruptionsskandals, in den unter anderem Verbandschef Pawelko verwickelt ist, verschlechtert. So haben Spanien und Portugal, die die Ukraine zunächst als Mitausrichter einluden, nun Marokko als weiteres Gastgeberland vorgestellt. Offiziell ist die Ukraine aber immerhin noch als vierter Ausrichter mit in der Bewerbung. Der ukrainische Präsident Selenskyj hatte immer wieder auch mit Blick auf den erhofften EU-Beitritt des Landes einen rigoroseren Kampf gegen Korruption versprochen.

Von André Ballin, dpa