Den Schauplatz des nächsten heißen Formel-1-Titelduells kennt Max Verstappen nur vom Bildschirm. «Ich bin ein bisschen im Rennsimulator gefahren, um die Kurven zu kennen. Aber es wird schön, es endlich real zu sehen», sagte der WM-Spitzenreiter vor der umstrittenen Rennpremiere in Katar.
Am Sonntag (15.00 Uhr/Sky) findet im Gastgeberland der Fußball-WM 2022 erstmals ein Grand Prix der Motorsport-Königsklasse statt. Dass keiner der Stars je auf dem Kurs seine Runden gedreht hat, sorgt beim drittletzten Saisonrennen für noch mehr Spannung im längst vergifteten Zweikampf zwischen Red-Bull-Pilot Verstappen und Titelverteidiger Lewis Hamilton.
Image-Aufbesserung durch Profisport
Die Vorfreude auf diesen Schlagabtausch ist aber getrübt. Katar, das kleine Land auf einer Halbinsel am Persischen Golf, steht seit Jahren aufgrund der Missachtung von Menschenrechten und der Ausbeutung von Arbeitsmigranten international heftig in der Kritik. Längst wird den Machthabern vorgeworfen, durch ein umfangreiches Engagement im Profisport zu versuchen, das ramponierte Image aufzubessern. Die Formel 1 kommt da gerade recht, der Große Preis findet auf den Tag genau ein Jahr vor dem Eröffnungsspiel der Fußball-WM statt.
Wer sich vom internationalen Flughafen durch Doha auf den Weg in den Norden zum Losail International Circuit macht, fährt im immer hektischen Verkehr vorbei an gleich mehreren WM-Stadien. Wie aus dem Nichts liegt die neueste Strecke im Formel-1-Kalender dann plötzlich fast in der Wüste. Mit riesigen Plakaten wird an der Stadtautobahn geworben. Unter 2G-Bedingungen soll es volle Tribünen geben. Bislang machte die Motorrad-WM seit 2004 Station in Katar, nun folgt auch die wichtigste Serie im Motorsport in das reiche Emirat. In diesem Jahr springen die Veranstalter aufgrund der angespannten Corona-Lage für Australien ein, ein Zehnjahresvertrag ab 2023 ist schon fixiert.
Kein Maulkorb für kritische Fahrer
Einen «bahnbrechenden Langfrist-Deal» nennt das Abdulrahman Al-Mannai, der Präsident von Katars Motorsportverband. Katar und die Formel 1 – das gehört aus seiner Sicht zusammen. Der mächtige Entscheider hatte zudem bereits gesagt, dass es keinen Maulkorb für die Fahrer geben werde, jeder von ihnen könnte frei seine Meinung «auch zu strittigen Themen sagen», betonte er. Es wird sich bei den offiziellen Medienrunden vor dem Wochenende zeigen, wer das tatsächlich nutzt. Vor allem Mercedes-Star Hamilton und der viermalige Weltmeister Sebastian Vettel halten sich bei Themen wie Diskriminierung, Unterdrückung und anderen Missständen nicht zurück.
«Ich denke nicht, dass wir in diese Länder gehen und ignorieren sollten, was dort passiert», hatte der Brite Hamilton im Frühjahr beim Großen Preis von Bahrain gesagt. Die Regierung Katars wies derweil wiederholt Kritik zurück und verwies auf die umgesetzten Reformen für die Arbeiter. In den vergangenen zehn Jahren habe man mehr als jedes andere Land getan, um die Bedingungen für ausländische Arbeiter zu verbessern, hieß es von offizieller Seite.
Die Formel 1 ist überzeugt davon, mit dem Gang nach Katar das Richtige zu tun. Boss Stefano Domenicali sagte der BBC, dass er überzeugt davon sei, dass es falsch wäre, diese Länder auszuschließen. Man könne vielmehr für Verbesserungen sorgen, wenn man das Rampenlicht auf Katar und Co. richte. In den Abmachungen mit den Veranstaltern wurde laut des Italieners zudem auch extra hinterlegt, dass Menschenrechte in allen Aspekten ihrer Verbindung mit dem Sport respektiert werden müssen. Sollte das nicht der Fall sein, kann die Formel 1 die Verträge einseitig kündigen.
«Der mittlere Osten ist ein guter Ort für Rennen»
Längst sind die WM-Läufe auf der arabischen Halbinsel mehr als eine Notlösung. Nun finden sogar erstmals saisonübergreifend gleich fünf Rennen nacheinander in der Region statt. Von Katar geht es weiter zur nächsten Premiere nach Dschidda in Saudi-Arabien und anschließend zum Saisonfinale in die Glitzerwelt Abu Dhabis. Kommendes Jahr steigt der Auftakt wieder in Bahrain, ehe es nach Saudi-Arabien geht.
«Der Mittlere Osten ist ein guter Ort für Rennen», sagte Günther Steiner, Teamchef von Mick Schumachers Haas-Rennstall, vor der Reise nach Doha. «Diese Länder sind aufstrebend und stecken viel Mühe rein, diese Events zu veranstalten.» Außerdem sei es noch «warm, wenn es in Europa kalt wird», sagte der Südtiroler Steiner: «Wenn die Leute einen Urlaub planen, ist es ein guter Ort, um dort hinzureisen.»
Das sehen längst nicht alle so. «Mir tut es immer weh, wenn ein weiteres Rennen im Ausland dazukommt und man nicht in Deutschland fährt. Katar hätte es nicht gebraucht, sondern Hockenheim oder Nürburgring», hatte der ehemalige Schweizer Formel-1-Fahrer Marc Surer bei Sport1 gesagt. Amnesty International appellierte derweil: «Die Fahrer und ihre Teams sollten bereit sein, im Vorfeld dieses Rennens auf die Menschenrechte in Katar aufmerksam zu machen.»
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