24. November 2024

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Flicks Balanceakt: Gegen Ukraine geht es um mehr als Fußball

Das 1000. Länderspiel gegen die Ukraine soll ein «Statement» sein. Der «Wahnsinn» im Kriegsland kann in Bremen nicht ausgeblendet werden, wenngleich der Bundestrainer auch sportliche Ziele verfolgt.

Hansi Flick steht vor einem Balanceakt. Das 1000. Länderspiel der DFB-Geschichte gegen die vom russischen Angriffskrieg gebeutelte Ukraine ist aufgeladen mit Symbolik.

Ein unbeschwertes Fußballfest zur kinderfreundlichen Anstoßzeit am Montag (18.00 Uhr/ZDF) ist das DFB-Comeback im ausverkauften Bremer Weserstadion nicht. «Wir spielen gegen einen Gegner, gegen ein Land, das in einer ganz schwierigen Situation ist», sagte Flick, als er zunächst einmal den verbalen Spagat zwischen Politik und Sport bewältigen musste.

Friedensbotschaft in die weite Welt

Von der Benefiz-Partie im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und des ukrainischen Botschafters Oleksii Makeiev soll eine Friedensbotschaft in die weite Welt gesendet werden. Und das klare Signal: Deutschland steht an der Seite der Ukrainer. DFB-Präsident Bernd Neuendorf nannte das Freundschaftsspiel ein «Statement in einer außergewöhnlichen Zeit». Der 61 Jahre alte Verbandsboss sagte sogar: «Wir spielen in diesem Spiel mehr mit der Ukraine als gegen die Ukraine.»

Mehr mit als gegen? Zumindest in den 90 Minuten nach den Nationalhymnen soll es beim ersten Länderspiel in Bremen nach einem elfjährigen DFB-Bann aus Flicks Sicht ein ernsthafter sportlicher Test für die Heim-Europameisterschaft in einem Jahr sein. Die deutschen Spieler werden zum Tausender-Jubiläum in einem Sondertrikot auflaufen. Der Bremer Lokalmatador Niclas Füllkrug präsentierte es auf dem Frankfurter DFB-Campus. Das Shirt sei «cool» geworden, sagte der Werder-Profi. Die Trikots sollen hinterher für gute Zwecke in der Ukraine versteigert werden. Füllkrug hofft auf eine «ordentliche Summe».

Flick gab dem Bremer Mittelstürmer eine Einsatzgarantie, ebenso wie dem Frankfurter Torwart Kevin Trapp, der sich nach 15 Monaten mal wieder in einem Länderspiel zeigen darf. Füllkrug freut sich besonders auf sein Heimspiel. Der 30-Jährige würde sich aber auch «freuen, wenn auch die Jungs aus der Ukraine ein tolles Spiel, einen tollen Tag erleben und das auch genießen können. Sie haben sicher auch andere Dinge im Kopf.»

Ukraine in schwerer Gruppe

Füllkrug erinnerte an die jüngsten Ereignisse im Kriegsgebiet, die er mit Blick auf die Zerstörung des Kachowka-Staudamms und die Überschwemmungen im Süden der Ukraine als «Wahnsinn» bezeichnete. Die ukrainischen Nationalspieler, speziell diejenigen, die für einheimische Clubs wie etwa Meister Schachtar Donezk spielen, leben in einer permanenten Ausnahmesituation. Flick sprach dennoch von einer Mannschaft, «die sehr, sehr gut Fußball spielen kann». In einer Qualifikationsgruppe mit England und Europameister Italien dürfte es die vom Krieg belastete Auswahl der Ukraine allerdings sehr schwer haben, sich für die Europameisterschaft in einem Jahr in Deutschland zu qualifizieren.

Die DFB-Auswahl ist als Gastgeber automatisch dabei. Und sie hat auf dem Weg zum Heimturnier nur Freundschaftsspiele. Flick muss darum besondere Motivationsanreize setzen – und ständige Mahnungen aussprechen. «Wenn wir im nächsten Jahr die EM-Vorbereitung haben, ist die Basis, dass jeder in Topform ist», sagte der 58-Jährige.

Die Juni-Partien gegen die Ukraine, Polen (16. Juni) und Kolumbien (20. Juni) hat Flick zum großen Systemtest erkoren, zur Erprobung der Dreierkette in der Abwehr. Antonio Rüdiger, Matthias Ginter und Nico Schlotterbeck sollen diese beim ersten Probelauf bilden. «Der Vorteil an einem anderen System ist, dass man, wenn Dinge in einem Spiel nicht in die richtige Richtung gehen, ändern kann», kommentierte der 30-jährige Rüdiger.

Rüdiger «verwundert» über Nichtnominierung von Süle

Dass der von Flick erneut nicht nominierte Dortmunder Abwehrhüne Niklas Süle beim Dreierketten-Test nicht mitmachen darf, hat auch Real-Madrid-Profi Rüdiger «verwundert». Aber das sei «eine Trainerentscheidung», bemerkte Rüdiger. Flick mochte am Sonntag nicht mehr groß über den von ihm vorerst ausgebooteten Süle reden.

«Ich schätze Niklas, ich mag ihn sehr gerne. Er kennt meine Gedanken», sagte Flick. Die EM-Tür bleibt offen – auch für Süle. Abwehr-Ass Rüdiger hielt ein Plädoyer für den Teamkollegen: «Natürlich fehlt er, weil für mich ist Niklas qualitativ ein sehr guter Spieler. Ich hoffe, dass er bald wieder mit an Bord ist.»

Im 3-1-4-2-System, das in Bremen zur Flick’schen Uraufführung kommt, sollen Füllkrug und der am Sonntag 24 Jahre alt gewordene Kai Havertz als torgefährliche Doppelspitze agieren. Der Leipziger Timo Werner fällt mit einer Sprunggelenks-Blessur zwei Spiele aus. Und Manchester Citys Champions-League-Sieger Ilkay Gündogan wird ebenso wie Inter Mailands Final-Verlierer Robin Gosens erst am Mittwoch zum DFB-Team stoßen.

Klaus Bergmann und Jan Mies, dpa