23. November 2024

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Flick verteilt die Hausaufgaben – Müller kennt WM-Lösung

Die Fußball-Nation zweifelt. Acht Wochen vor dem WM-Anpfiff sucht die Nationalmannschaft die Titel-Form. Hansi Flick gibt seinen Katar-Kandidaten viele Hausaufgaben und muss selbst Antworten finden.

Hansi Flicks Worte passten nicht zu Hansi Flicks Gesicht. Optimismus, Hoffnung, Titel-Gier sah man ihm eben nicht an nach dem nächsten WM-Stimmungsdämpfer. Doch der Bundestrainer wollte sich trotz des wilden Fußball-Ritts beim 3:3 in England als letztem ernsthaften Katar-Test kein Miesepeter-Gefühl einreden lassen.

«Ich bin von Hause aus eher positiv», sagte der Bundestrainer im Presse-Auditorium des Wembleystadions. «Viele Sachen haben wir gut gemacht», fügte er vor der Heimreise aus London an. Es klang, als müsste er sich dies selbst einreden. Zweifel, Fragen, Hausaufgaben, das ist der reale Dreiklang, der Flick auf dem 57-Tage-Endspurt Richtung Katar nun begleitet.

Seinen Bayern-Block um WM-Hoffnungsschimmer Jamal Musiala schickte Flick zur kollektiven Form-Suche nach München. Mit dreizehn Spielen in 43 Tagen ist der WM-Countdown dort proppevoll. Doppel-Torschütze Kai Havertz fuhr einmal quer durch London nach Hause und wusste, dass die Leistung gegen die Three Lions nicht genügt, um die großen Ziele im WM-Advent zu schaffen. «In sieben Wochen dürfen wir die Fehler nicht mehr machen», redete der Offensivmann vom FC Chelsea Klartext nach «einem weiteren Tag zum Lernen». Sonst könnten die ersten beiden Gegner Japan (23. November) und Spanien (27. November) schon zu finalen Titel-Stolpersteinen werden und sich das WM-Trauma von Russland 2018 wiederholen.

Katar-Kandidaten unter Beobachtung

Flicks erster Plan ging nicht auf. Gegen Ungarn und in England wollte er seine beste Formation für Katar finden und einspielen lassen. Nach der 0:1-Enttäuschung gegen die Magyaren und dem Konfus-Fußball in der Schlussphase gegen die Engländer gibt es mehr Ungereimtheiten als zuvor. 2:0, 2:3, 3:3, diese Torreihenfolge in Wembley bot Argumente für Optimisten und Pessimisten gleichermaßen. Fest steht: Alle Katar-Kandidaten stehen im Oktober unter Beobachtung. Das machte Flick noch einmal deutlich.

«Ich glaube, dass es wichtig ist, dass jeder Einzelne in dieser Zeit noch an sich arbeitetet, für bessere Fitness, Sicherheit, Überzeugung, Passspiel. Da müssen wir noch besser werden. Dann können wir als Mannschaft noch einen Tick besser sein. Das ist notwendig», räumte der 57-Jährige in seiner Analyse ein.

Für Flick hat das WM-Jahr noch keinen glücklichen Verlauf. Seinen Alles-Sieger-Nimbus, den er als Titelsammler beim FC Bayern zum DFB-Team mit acht Siegen zum Start transportierte, ist er los. In den letzten sieben Partien gelang nur noch ein Erfolg, beim 5:2 gegen eine italienische B-Formation. Nie blieb man ohne Gegentor. Ein Kuriosum: Gegen keinen der anderen 31 WM-Teilnehmer konnte Flick bisher ein Spiel als Bundestrainer gewinnen. Erfolge gelangen nur gegen Mannschaften, die nicht in Katar dabei sind.

Viel Beobachtung

Der Bundestrainer selbst wird nun ganz viel reisen. Spiele, Spiele, Spiele will er sehen. Oberste Priorität hat die Auswahl der 26 Kaderplätze, die Flick nur wenige Tage vor dem für den 14. November gebuchten Abflug zum Testspiel-Zwischenstopp im Oman vergeben wird. Bis dahin wird die Fußball-Nation diskutieren. Braucht Flick für den Angriff einen echten Stoßstürmer? Die Absenz einer klassischen Nummer neun ist ein Dauer-Diskussionspunkt. Timo Werner lieferte keine Argumente. Havertz traf erst, als er aus dem Rückraum kam.

Flick moderiert die Mittelstürmer-Debatte geschickt. Er schließt auch eine Berufung von Werder Bremens Niklas Füllkrug, der im Club-Fußball internationales Niveau noch nicht unter Beweis stellen musste, nicht prinzipiell aus. Angekündigt hat er schon, dass ein Spieler «für den besonderen WM-Moment» in Katar dabei sein soll, an den im Augenblick noch niemand denkt. Das könnte auch ein junger Kerl wie Dortmunds Youssoufa Moukoko (17) sein.

Hummels-Rückkehr?

Längst am Laufen ist die Debatte um eine erneute Turnier-Reaktivierung von Mats Hummels für die Abwehr, auch wenn das schon Flicks Vorgänger Joachim Löw bei der EM 2021 kein Glück brachte. Der Rio-Champion zeigt bei Borussia Dortmund gute Leistungen. Laut «Bild-Zeitung» würde er sich auch mit einer Nebenrolle im WM-Kader zufriedengeben.

Nominiert hat Flick den 33-Jährigen noch nie. Er wird die Tür aber zumindest in der Öffentlichkeit bis zum Schluss offen lassen. Hummels‘ neuer BVB-Kollegen Nico Schlotterbeck verursachte bei allen von Flick geschätzten Qualitäten im fünften Länderspiel zum dritten Mal einen Elfmeter. Ein solcher Fauxpas kann bei der WM alle Träume zerstören.

Hummels‘ Plus. Er wäre in Topform ein Akteur, der sportliche Qualität und Anführer-Fähigkeiten vereint. Eine Verbindung, die in Flicks Personalauswahl zu selten zu finden ist. Gegen Ungarn wie gegen England fehlte ein Leader auf dem Platz, der den Weg wies, als Antrieb (gegen Ungarn) fehlte oder Ordnung (gegen England) verloren ging.

Kimmich will angreifen

Ersatz-Kapitän Joshua Kimmich sieht sich in dieser Doppel-Verantwortung und will es nun nach WM-Frust 2018 und EM-Enttäuschung 2021 endlich auch bei einem großen Turnier beweisen. «Jeder Spieler hat noch mal sechs Wochen Zeit, sich ein gutes Gefühl zu holen. Dann werden wir angreifen», versprach er.

An kritischer Einsicht seiner Spieler mangelt es Flick also nicht. «Für uns gilt es, als Truppe weiter zusammenzustehen», forderte Turnier-Routinier Thomas Müller. Man müsse diesen «deutschen Turnier-Mannschaft-Mythos wieder aufleben lassen», sagte der 33-Jährige vor seiner vierten WM-Teilnahme. Müllers royaler Vorschlag: Einfach Real Madrid kopieren. Die Königlichen könnten das Vorbild sein. Beim Champions-League-Sieger laufe «auch nicht immer alles brillant, aber sie behalten den Kopf oben, sie behalten den Glauben an sich selbst.»

Arne Richter und Klaus Bergmann, dpa