24. November 2024

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«Fehler des Systems»: Der Doping-Krimi um Kamila Walijewa

Der Doping-Skandal um Russlands Eisprinzessin Kamila Walijewa belastet die Winterspiele von Peking. Für die Sportrichter ist Eile geboten. Der Fall birgt hohe Brisanz.

Kamila Walijewa trainiert weiter auf dem olympischen Eis von Peking. Auch am Sonntag probte Russlands Eiskunstlauf-Wunder im Capital Indoor Stadium für das erhoffte Einzel-Gold.

Doch ob Walijewa wirklich noch einmal bei den Winterspielen antreten darf, entscheiden die Sportrichter. Der Skandal um die 15-Jährige ist zu einer schweren Belastung für die Spiele geworden.

Was hat die Affäre ausgelöst?

Bei den russischen Meisterschaften in St. Petersburg am 25. Dezember muss sich Supertalent Walijewa einem Dopingtest unterziehen. Weil das Moskauer Dopinglabor seine internationale Zulassung im Zuge des Skandals um Russlands staatlich organisierten Sportbetrug verloren hat, wird der Test in Stockholm ausgewertet. In Walijewas Probe wird das verbotene Herzmittel Trimetazidin nachgewiesen. Das Ergebnis erreicht die russische Anti-Doping-Agentur (Rusada) deren Angaben zufolge aber erst am 7. Februar – das ist ungewöhnlich spät. Zu diesem Zeitpunkt hat sie bereits das russische Team zum Olympiasieg im Mannschaftswettbewerb geführt.

Wieso dauerte es so lange, bis das Testergebnis bekannt wurde?

Die Rusada nennt die aktuelle Corona-Situation und erkranktes Laborpersonal als Gründe für die Verzögerungen bei der Auswertung des Tests. Dies hätte «nie passieren dürfen», sagte Travis Tygart, der Chef der amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada, bei «Yahoo Sports». Für gewöhnlich würden Anti-Doping-Behörden solche Testauswertungen vor großen Wettbewerben sogar beschleunigen, um Szenarien wie nun bei den Winterspielen zu verhindern, sagte der Dopingjäger. Die Verzögerungen seien «unentschuldbar» und ein «katastrophaler Fehler des Systems».

Warum müssen jetzt die Sportrichter ran?

Walijewa wird am 8. Februar vorläufig von der Rusada gesperrt. Einen Tag später wird die Strafe aber nach ihrem Einspruch ausgesetzt. Damit dürfte die Topfavoritin auch am olympischen Damen-Einzel teilnehmen, das am 15. Februar beginnt. Das will das Internationale Olympische Komitee nicht so einfach hinnehmen. Im Eilverfahren soll der Internationale Sportgerichtshof urteilen, ob die Rusada die Sperre von Walijewa aufheben durfte. Erst wenn dieses Urteil gesprochen ist, wird der Eislauf-Weltverband (ISU) über die Medaillenvergabe im Team-Wettbewerb entscheiden. Der Cas-Spruch werde noch vor Dienstag verkündet, versicherte das IOC.

Was macht den Fall so brisant?

Eisprinzessin Walijewa ist der größte Star der Russen in Peking und die derzeit mit Abstand beste Eiskunstläuferin der Welt. Auch der Kreml stellte sich schnell hinter die 15-Jährige. Der Fall bricht die Wunden des Manipulationsskandals wieder auf, der Russland offiziell die Zulassung für die Sommerspiele in Tokio und Olympia in China kostete. In Peking tritt das Team als Mannschaft des Russischen Olympischen Komitees (ROC) ohne die eigene Landesfahne und Hymne an. Der neue Dopingfall, noch dazu mit einer Minderjährigen, zieht die Abkehr der Russen von den Sünden der Vergangenheit erneut schwer in Zweifel. Das IOC muss sich wieder fragen lassen, ob die Sanktionen hart genug und zielführend waren.

Wer fällt das Urteil?

Für die Zeit der Winterspiele hat der Cas eine Ad-hoc-Kommission aus einem Kreis internationaler Juristen einberufen. Für den Fall Walijewa bilden der Italiener Fabio Iudica, der Amerikaner Jeffrey Benz und der Slowene Vesna Bergant Rakocevic das Richtergremium. Die Anhörung wurde für Sonntagabend in Peking angesetzt. Wegen der Corona-Pandemie wird das Verfahren weitgehend per Video geführt. Das Urteil sollen die Streitparteien am Montagnachmittag Ortszeit erfahren. Zunächst geht es dabei nur darum, ob die Rusada die vorläufige Sperre für Walijewa kurzfristig wieder aufheben durfte.

Welche Rolle spielt Walijewas Alter in der Sache?

Laut dem Regelwerk der Welt-Anti-Doping-Agentur ist die 15 Jahre alte Russin als Minderjährige eine «geschützte Person». Wird ihr ein Dopingvergehen nachgewiesen, kann die Strafe milder und eine mögliche Sperre auch deutlich geringer als zwei Jahre ausfallen. Stärker in den Fokus gerät ihr Umfeld mit Trainerin Eteri Tutberidse. «Wir würden da eine harte Linie begrüßen. Auf die Entourage sollte in diesem und allen anderen Fällen geschaut werden», sagte IOC-Sprecher Mark Adams am Samstag. Werden Trainer oder Betreuer überführt, Minderjährigen verbotene Substanzen gegeben zu haben, droht ihnen eine Sperre von mindestens vier Jahren.

Warum ist Trimetazidin verboten und was bewirkt es?

Trimetazidin steht auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur in der Rubrik S4 «Hormone und Stoffwechsel-Modulatoren». Nach Angaben der Europäischen Arzneimittel-Agentur (Ema) ist es ein «Arzneimittel zur Vorbeugung von Angina pectoris» (anfallsartige, starke Schmerzen in der Herzgegend), das die Blutzufuhr zum Herzen durch Weitung der Blutgefäße fördert. Im Eiskunstlauf könnte man «einen Moment der Übersäuerung der Muskulatur» überbrücken, wie sie in der zweiten Hälfte einer Kür eintreten» könne, erklärte Sven Authorsen, Olympiaarzt der Eiskunstläufer. Bekannte Dopingfälle mit Trimetazidin waren die des chinesischen Schwimm-Stars Sun Yang und der der russischen Bobfahrerin Nadeschda Sergejewa bei den Winterspielen 2018 in Pyeongchang.

Von Christian Hollmann und Andreas Schirmer, dpa