Ronald Rauhe wischte sich einmal mehr die Tränen aus den Augen. Als nach der Triumphfahrt zum Vierer-Gold das Foto seines Jungen in der fernen Heimat auf dem Handy aufploppte, war es erneut um Deutschlands erfolgreichsten Kanuten geschehen.
«Mein Sohn wird in den nächsten zwei, drei Stunden oder vier sind es noch, eingeschult, trotzdem hab ich gerade ein Foto gekriegt», sagte Rauhe am Sea Forest Waterway in Tokio. Seine Stimme stockte, er weinte und sagte: «Trotzdem hab ich ein Foto gekriegt, wo sie um drei Uhr nachts wach waren und mein Rennen geguckt haben. Das macht mich einfach stolz. Die Familie hat einen ganz, ganz großen Anteil daran.»
Mit Gold ins Karriereende
Im Kajak-Vierer hatte der 39-Jährige bei den Olympischen Spielen in seinem letzten großen Rennen zusammen mit den Team-Kollegen Max Rendschmidt, Tom Liebscher und Max Lemke knapp vor Spanien triumphiert. «Ich hätte mir nichts anderes erträumen, erwünschen können. Das macht es mir heute leicht, meine Karriere zu beenden», sagte Rauhe.
Seinem Team hängte er die Goldmedaille um den Hals, durfte sich später auch noch über eine besondere Ehre freuen – er wird am Sonntag bei der Schlussfeier Fahnenträger der deutschen Mannschaft. «Ich habe noch nie eine Eröffnungsfeier mitgemacht. Die Fahne aus dem Stadion zu tragen, ist die Krönung meiner Karriere», sagte er – und schluchzte noch einmal.
Es dürften nicht die letzten Tränen von Tokio gewesen sein. «Den richtigen Schlusspunkt setzen wir heute Abend. Er wird nicht mehr aus dem Weinen herauskommen. Manche sagen, er ist der Papa von dem Boot», meinte Bundestrainer Arndt Hanisch. «Er ist einfach ein cooler Mensch, ein cooler Typ. Wir werden ihn vermissen.» Schlagmann Rendschmidt meinte: «Zum Abschluss nochmal Gold – mehr konnten wir Ronny nicht geben.»
Versöhnliches Olympia-Finale
Vor allem für den Deutschen Kanu-Verband war es ein einigermaßen versöhnliches Olympia-Finale. Rendschmidt (29 Jahre), Ronald Rauhe (39), Liebscher (28) und Lemke (24) triumphierten, sie sorgten am Final-Samstag für die erst dritte deutsche Medaille im Kanu-Rennsport bei den Tokio-Spielen – sechs bis sieben Medaillen waren die Zielvorgabe gewesen. Die Frauen schafften es erstmals seit langer Zeit nicht auf das Podest. «Das Gold war schon wichtig, weil wir bei Weitem nicht das erreicht haben, was wir uns vorgenommen haben. Es ist ein guter Abschluss, aber es wird an der Gesamtbilanz nichts ändern», sagte Kanu-Verbandspräsident Thomas Konietzko.
In Rio hatte es noch vier Mal Gold und insgesamt sieben Podestplätze gegeben – es war die stärkste olympische Ausbeute seit Athen 2004. Die Slalom-Kanuten dagegen hatten in Japan mit einmal Gold und dreimal Bronze ihre Zielstellung doppelt übertroffen und erstmals besser abgeschnitten als die Rennkanuten.
Während der dreimalige Olympiasieger Sebastian Brendel auf dem Sea Forest Waterway das Medaillen-Finale im Canadier-Einer nicht erreichte und sein potenzieller Nachfolger Conrad Scheibner die angestrebte Medaille als Sechster ebenfalls klar verpasste, war auf den Vierer einmal mehr Verlass.
Selbst durch einen Totalschaden beim eigens angefertigten Olympiaboot beim Verladen in Luxemburg war das Quartett nicht zu schlagen. Gleich nach der Ziellinie feierte die bärenstarke Crew um Rauhe den Sieg im Ersatzboot über die Spanier mit knappem Vorsprung. Bronze ging an die Slowakei. Als es geschafft war, stieg Rauhe als Erster aus dem Boot und umarmte seine Teamkollegen innig.
Alles untergeordnet für Gold
Der 16-malige Weltmeister Rauhe hat nach Bronze in Sydney 2000, Gold in Athen 2004, Silber 2008 in Peking im Kajak-Zweier und Bronze 2016 in Rio im Einer nun Gold im Kajak-Vierer hinzugefügt. Möglich wurde der im Endspurt sicher eingefahrene Coup auch wegen des Verzichts auf Einzelstarts. «Klar hätten wir auch in dem ein oder anderen Wettbewerb um Medaillen kämpfen können», sagte Schlagmann Max Rendschmidt. Doch dem Ziel Gold ordneten sie alles unter.
Nach der Niederlage beim Weltcup in Szeged gegen die Spanier war das Team angestachelt. «Wichtig ist, den Gegner im Kopf irgendwo anzugreifen», sagte Rauhe und fügte an: «Wir haben uns einen Plan ausgearbeitet, um die Spanier taktisch unter Druck zu setzen.» Es darf «gar nicht erst der Gedanke aufkommen, die können gewinnen.» Und so kam es dann auch.
«Als ich klein war, habe ich die pinken Boote bei Olympia gesehen. Jeder Kanute, der in Deutschland aufwächst, strebt danach und wünscht sich, wie im Kindheitstraum bei Olympia im pinken Boot zu sitzen», sagte Raue und betonte: «Die Historie dahinter ist noch viel ergreifender. So habe ich es als Kind erlebt, so ist es bis heute geblieben.»
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