22. November 2024

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Ex-Wasserspringer Hempel: Jahrelang von Trainer missbraucht

Mit eindrücklichen Schilderungen erhebt der frühere Weltklasse-Wasserspringer Jan Hempel schwere Vorwürfe. Jahrelang sei er von seinem damaligen Trainer missbraucht worden.

Jan Hempel spricht leise. Immer wieder stockt er, sucht nach Worten für das Unfassbare, was er erzählen will, was er erzählen muss. Mehrmals wischt sich der frühere Weltklasse-Wasserspringer mit den Händen über das Gesicht.

Man spürt: Er führt gerade einen sehr harten Kampf mit sich. Hempel spricht über eine 14 Jahre anhaltende Leidensgeschichte. Von 1982 bis 1996 ist er nach eigenen Angaben von seinem damaligen Trainer Werner Langer immer wieder sexuell missbraucht worden. Jetzt, mit fast 51 Jahren, geht er damit an die Öffentlichkeit.

In einer Dokumentation der ARD unter dem Titel «Missbraucht – Sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport» spricht der Olympia-Zweite von Atlanta 1996 über die Vorwürfe gegen den 2001 gestorbenen Langer. «Ich bin von meinem Trainer missbraucht worden. Er hat keinen Zeitpunkt ausgelassen, um nicht seinen Wünschen und Bedürfnissen freien Lauf zu lassen», sagt Hempel und fügt an: «Ich glaube, man ist es anderen auch für die Zukunft schuldig, dass man darüber spricht.»

Vor Olympia in Atlanta 1996 wehrt sich Hempel eigenen Angaben zufolge erstmals gegen Langer. Im folgenden Jahr habe er der damaligen Bundestrainerin über die Vorkommnisse berichtet. Langer sei damals suspendiert worden, aber nicht wegen eines Missbrauchs, sondern wegen einer angeblichen Stasi-Vergangenheit, sagt Hempel. «Alle haben geschwiegen, bis heute.»

DSV will Sachverhalt klären

Hempel wirft dem amtierenden Bundestrainer der Wasserspringer Lutz Buschkow vor, damals ebenfalls Kenntnis von den Vorwürfen gehabt zu haben. Der Deutsche Schwimm-Verband stellte Buschkow bei den Europameisterschaften in Rom am Donnerstag bis zur finalen Klärung des Sachverhalts von seiner Tätigkeit frei. Nachdem der 64-Jährige bei der Gold-Medaille von Tina Punzel und Lena Hentschel im Synchronspringen vom Drei-Meter-Brett am Nachmittag noch dabei gewesen war, betreute er das Team beim anschließenden Männer-Wettkampf schon nicht mehr am Beckenrand im Foro Italico.

Der DSV teilte allerdings auch mit, dass die bisherige Akteneinsicht keinerlei Anhaltspunkte ergeben habe, dass Hempels Vorwürfe gegen Buschkow zuträfen. «Wir haben uns abgestimmt, dass wir Lutz Buschkow hier aus dem Feuer rausnehmen, was aber zunächst einmal eine Unschuldsvermutung darstellt», sagte Präsident Marco Troll der ARD.

Auch der damalige DSV-Präsident Rüdiger Tretow habe versichert, dass weder er noch das Präsidium Kenntnis über die Missbrauchsvorwürfe gegen Langer hatten, heißt es in der Mitteilung des DSV. «Im Namen des gesamten Verbands möchten wir uns bei den Opfern dafür entschuldigen, dass sie solch traumatische Erlebnisse erleiden mussten», heißt im Verbandsstatement.

In der Dokumentation drückt Hempel seine Enttäuschung gegenüber dem DSV aus. «Ich habe am eigenen Leib viele Jahre spüren müssen, dass dem DSV nur der sportliche Erfolg wichtig ist und alles andere, ob Gesundheit oder irgendwelche Probleme, eigentlich völlig hinten runter gehen», sagt der Sachse. Es seien noch Leute im Verband, die es damals so gehandhabt hätten. Der DSV erklärt, der Verbandsvorstand habe am 11. August durch eine Medienanfrage erstmals von den Vorwürfen Hempels gegen Langer erfahren.

Dresdner SC zeigte sich ebenfalls schockiert

Der Dresdner SC, für den Hempel früher aktiv war, zeigte sich ebenfalls schockiert. «Was ich heute in den Medien lesen und sehen musste, erschüttert mich zutiefst», wird DSC-Präsident Wolfgang Söllner in einer Vereinsmitteilung zitiert. «Nach dem internen Bekanntwerden der Vorwürfe ist Herr Langer von der damaligen Bundestrainerin abgezogen und vom DSC mit einem lebenslangen Hallenverbot belegt worden», sagte Söllner. «Es war damals der ausdrückliche Wunsch von Jan Hempel, das Thema aus den Medien herauszuhalten.»

«Die Vorwürfe kannte ich bis heute nicht», sagte Söllner. «Nach meinen heutigen Recherchen ist es wohl richtig, dass Jan Hempel 1997 diese Anschuldigungen gegen seinen Trainer vorgebracht hat.» Langer sei damals für den Bundesverband am Dresdner Stützpunkt tätig gewesen und habe in keinem Anstellungsverhältnis mit dem DSC gestanden.

Hempel berichtet, auch vor dem Olympia-Finale im Turmspringen 1992 in Barcelona sei es auf einer Stadiontoilette zu einem Missbrauch durch Langer gekommen. Ein anderer Sportler, der anonym bleiben will, erzählt in der Dokumentation, dass Langer bei ihm im Schlaf «handgreiflich» geworden sei.

Hempel: «Jetzt kann ich mich noch daran erinnern»

Bei Hempel ist eine beginnende Alzheimererkrankung diagnostiziert worden. «Ich merke, dass immer mehr aus meinem Kopf verschwindet. Jetzt kann ich mich noch daran erinnern. Ich weiß nicht, wie lange das noch der Fall ist», sagt Hempel, der Details über den Missbrauch für sich aufgeschrieben hatte.

Seiner Ehefrau Ines hatte Hempel bereits zuvor darüber berichtet. «Ihm ist es sehr schwer gefallen, darüber zu reden, deshalb hat er es dann auch aufgeschrieben», berichtete Ines Hempel unter Tränen in der Dokumentation. Sie habe diese Aufzeichnungen gelesen und sagt: «Was das Seelische kaputt gemacht hat, das kann auch ich nicht heilen.»

Maximilian Klein von Athleten Deutschland äußerte sich auf Twitter «sprachlos und traurig» über die Vorwürfe und forderte eine «unabhängige Aufarbeitung». «Die Doku zeigt Altbekanntes», schrieb der Athletenvertreter. Der CSU-Politiker Stephan Mayer nannte die Vorwürfe «schockierend». «Im konkreten Fall muss untersucht werden, ob der Deutsche Schwimmverband im Jahr 1997 von den Vorwürfen informiert wurde und weshalb er nicht reagiert hat», sagte der sportpolitische Sprecher von CDU und CSU laut einer Mitteilung.

Von Gerald Fritsche und Thomas Eßer, dpa