22. November 2024

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Erstes Gold für Deutschland: Funk siegt im Kanuslalom

Slalomkanutin Ricarda Funk hat ihren olympischen Traum wahr gemacht. Das Leichtgewicht im Wildwasserkanal tanzte gekonnt auf den Wellen und holte Gold. Nach ihrem Coup flossen Tränen.

Kaum hatte sich Ricarda Funk mit Olympia-Gold einen Kindheitstraum erfüllt, waren ihre Gedanken bei den Flutopfern in der vom Hochwasser schwer getroffenen Heimat.

«Es war einfach nur schrecklich, die Bilder zu sehen, die mich stündlich erreicht haben. Ich habe auch einige Male Tränen vergossen, weil es einfach unfassbar war, was da passiert ist. Ich schicke einfach ganz viel Liebe nach Hause. Ich sage nur: Kreis Ahrweiler ist stark und gemeinsam schaffen wir das», sagte Slalomkanutin Funk nach ihrem Coup im Wildwasserkanal von Tokio. Die 29 Jahre alte Sportsoldatin feierte am Dienstag im olympischen Kanuslalom nach vielen Rückschlägen den größten Erfolg ihrer Karriere.

Der Gold-Traum wird wahr

«Von der Goldmedaille hab ich immer geträumt, jetzt ist der Traum Realität geworden. Es ist einfach unglaublich», sagte Funk mit Freudentränen in den Augen. Sie siegte im 25-Stangen-Parcours im Kasai Canoe Slalom Centre vor der Spanierin Maialen Chourraut und der australischen Topfavoritin Jessica Fox und sorgte für die erste deutsche Goldmedaille in Tokio. In der Stunde ihres größten Erfolgs musste sie auch an ihren in Rio tödlich verunglückten Trainer Steffen Henze denken: «Der ist ganz tief im Herzen und er ist überall mitgefahren, auf der ganzen Reise, bei jedem Wettkampf und bei jedem Training», sagte sie mit Tränen erdrückter Stimme. Leise fügte sie an: «Und er gibt mir immer noch meine Tipps.»

Nach all den emotionalen und sportlichen Rückschlägen stand Funk endlich ganz oben. 2016 hatte sie Olympia verpasst. Bei Weltmeisterschaften wurde sie Zweite und Dritte im Einzel, nur für den Sieg hatte es bisher nie gereicht. Bis zu ihrem perfekten Tag in Tokio. Das Leichtgewicht schlängelte sich mit Kraft und Eleganz durch die Tore und zeigte keine Nerven.

Fehler im Halbfinale – Gold im Finale

Das war im Halbfinale noch anders. Funk leistete sich als einzige Finalistin zwei Stabberührungen. Dennoch kam sie nach den Patzern an den Toren 4 und 12 dank ihrer Schnelligkeit als Drittbeste ins Finale. Das gab Zuversicht. «Nach dem Fehler im Halbfinale war ich mir nicht sicher, ob es zum Finale reichen würde. Im bin nur ins Ziel gesprintet und sagte mir: Fahre um dein Leben», berichtete Funk.

Thomas Konietzko, Präsident des Deutschen Kanu-Verbandes, war da optimistischer: «Ich habe gesagt: Gold, Silber oder nix. Heute hat die kompletteste Sportlerin gewonnen. Die mit den besten technischen Fähigkeiten aber auch den stärksten physischen Fähigkeiten.»

Unterstützung bei Rückschlägen fand sie immer in der Familie. «Durch meine Familie bin ich zu dem Sport gekommen, mein Vater hat mich jahrelang trainiert», sagte sie. Entsprechend traurig war Funk, dass ihre Liebsten den Triumph nicht vor Ort miterleben konnten. «Tickets, alles war schon gebucht». Am liebsten hätte sie die Familie «in den Koffer gepackt».

Mit Papa Thorsten saß sie im Alter von fünf oder sechs Jahren das erste Mal im Boot: «Ich kann mich daran erinnern, dass wir auf dem Rhein gefahren sind. Wir sagten: die Wellen von den Schiffen sind wie Kindergeburtstag, wir wollen da ein bissel mehr erleben.»

Liebe zum Kanuslalom kommt spät

Die Liebe zum Kanuslalom kam erst später. «Anfangs dachte ich, das ist was für Jungs. Ich wollte lieber eine typische Mädchensportart machen wie Reiten oder Tanzen.» Bei ihrem ersten Wettkampf wurde sie Letzte. «Danach habe ich mir gesagt: Nie wieder.» Erst mit 14 entschied sie sich komplett für das Kanu und gab das Tanzen in einer Karnevalsgruppe auf. Der Papa trainierte mit ihr auch auf der Strecke in Sinzig, die nun schwer beschädigt wurde. «Da bin ich aufgewachsen, da hat alles angefangen. Da habe ich meine ersten Paddelschläge gemacht. Es tut im Herzen weh, die Heimat so zu sehen.»

Ihre Leichtigkeit – gerade beim Tanz auf den Wellen – ist geblieben. Was nicht nur an ihren 53 Kilogramm Körpergewicht liegt. Im Feld der Weltklassathletinnen ist sie mit die leichteste, doch sie hat enorme Kräfte am Paddel. «Es ist natürlich cool, wenn man so ein Kraft-Last-Verhältnis hat. Das ist bei dieser Sportart auch ein Vorteil. Manchmal macht es einfach Spaß, wenn man ein paar Leute ärgern kann.» Zwar könnten sich die robusten Kanutinnen «manchmal besser durch die Wellen boxen, aber ich bekomme das Boot einfach besser vorwärts bewegt», sagte Funk.

Am liebsten im Stile von Harry Potter. Funk liebt die Romane und die Zauberei. «Ich warte immer noch auf meinen Brief, der noch nicht angekommen ist, dass ich endlich nach Hogwarts gehen darf», sagte sie schmunzelnd und betonte: «Zauberei ist irgendwie etwas Schönes.»

So zauberte sie sich auch durch das Stangenlabyrinth, das aufgrund des stürmischen Wetters in Tokio hin und her wackelte. Das passte dann auch zu ihrem Credo im Wildwasserkanal: «Es ist ein bisschen wie Tanzen auf dem Wasser, wenn ich in der Welle surfe und eine Rückwärtsdrehung mache.» Nur im Urlaub meidet sie das Wasser. Da liebt sie das Wandern in den Bergen: «Ein reiner Strandurlaub wäre für mich zu langweilig.»

Von Frank Kastner, dpa