22. November 2024

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«ENDLICH!»: England feiert magische EM-Nacht

Nach über einem halben Jahrhundert der aufgestauten Titel-Sehnsucht greift England tatsächlich nach dem EM-Pokal. Eine ganze Nation feiert ihre Fußball-Helden für den historischen Einzug ins EM-Finale.

Die Energie einer magischen Wembley-Nacht strömte auch noch lange nach dem Abpfiff durch die Körper von Harry Kane und Gareth Southgate.

Völlig überwältigt von der Mega-Party in Londons Fußball-Tempel versuchten Englands Kapitän und sein Trainer in Worte zu fassen, was sie selbst noch nicht begreifen konnten: Nach 55 traumatischen Jahren stehen die Three Lions tatsächlich erstmals im Finale einer Europameisterschaft und greifen nach ihrem zweiten Titel seit der WM 1966. «ENDLICH!», titelte der «Daily Mirror».

«Was das für unser Land bedeutet. Ich habe so eine Stimmung im neuen Wembley noch nie erlebt», sagte Southgate. Der ebenfalls extrem erleichterte Kane richtete den Blick aber auch schnell auf das letzte Kapitel einer in Englands leidgeprüften Fußball-Historie einmaligen Mission. «Wir haben immer den Gedanken im Hinterkopf, dass noch ein Schritt fehlt», sagte der Starstürmer. «Wir genießen das alles, aber der Fokus liegt jetzt auf Sonntag.»

Southgate sieht Finalgegner Italien als «riesige Hürde»

Dann fordern die Engländer im großen Final-Kracher vor einer mit Sicherheit erneut elektrisierenden Wembley-Atmosphäre Italien heraus. «Das ist eine riesige Hürde, die wir vor uns haben. Italien hat sehr gut gespielt und eine außergewöhnliche Form gezeigt. Sie haben Krieger in der Defensive, das wird ein großartiges Spiel», sagte Southgate.

Die Stimmung auf der Insel könnte aber schon jetzt nicht besser sein. England erlebt dank seiner Fußball-Helden einen zauberhaften Sommer. Jede der großen Tageszeitungen machte am Donnerstagmorgen mit Southgates historischer Mannschaft auf. Der «Daily Star» brachte sogar eine «Souvenir-Edition» heraus mit dem Hinweis: «Kaufen Sie am besten zwei davon, denn es könnte wieder 55 Jahre bis zum nächsten Finale dauern.» Die «Times» titelte zu einem riesigen Foto von Siegtorschütze Kane: «England schreibt Geschichte.» Der «Guardian» hielt auf seiner ersten Seite fest: «England träumt.»

Titel-Sehnsucht der Engländer

Nie war eine englische Mannschaft näher dran, die über ein halbes Jahrhundert aufgestaute Titel-Sehnsucht zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Southgate ist es trotz anfangs erheblicher Widerstände gelungen, eine gespaltene Nation hinter ihrem Nationalteam zu vereinen. Anders als Final-Gegner Italien zelebrierten die Engländer bei diesem Turnier keinen Spektakel-Fußball, aber sie gewannen ihre Spiele. Nüchtern, unspektakulär und mit einer stabilen Defensive: eben auf die typische Southgate-Art. Gegen Dänemark haben die Three Lions zudem bewiesen, dass sie mit Rückschlägen umgehen können.

Denn die wilde Wembley-Atmosphäre war schon nach einer halben Stunde dieser Halbfinal-Partie an ihrem einzigen Tiefpunkt angekommen, als Mikkel Damsgaard dem Stadion den Stecker zog. Der dänische Youngster schlenzte einen Freistoß direkt ins englische Tor und sorgte damit für den ersten EM-Gegentreffer der Three Lions. Trotzdem musste England sich nur kurz schütteln. Neun Minuten später beförderte Dänemarks Kapitän Simon Kjaer den Ball nach einem starken Lauf von Bukayo Saka ins eigene Tor. In der 104. Minute eines Verlängerungsdramas war es schließlich Kane, der per Elfmeter-Nachschuss Wembley zum Ausflippen brachte.

Kanes Elfmeter sorgt für Wirbel

«Wir waren da, als es darauf ankam. Wir haben sehr gut reagiert und stehen jetzt in einem Finale zuhause. Was für ein Gefühl», schwärmte Kane. Dass sein Strafstoß am Ende heftige Diskussionen auslöste, kümmerte den 27-Jährigen wenig. Englands Angreifer Raheem Sterling war nach einem Dribbling im Strafraum höchstens minimal von Joakim Maehle berührt worden, dennoch korrigierte der Video-Referee die Entscheidung von Schiedsrichter Danny Makkelie nicht. «Es war ein Elfmeter, den es nicht hätte geben sollen, das macht mich ärgerlich. Wir sind sehr enttäuscht», kritisierte der dänische Coach Kasper Hjulmand. Dennoch können die Dänen das Turnier mit großem Stolz verlassen.

Dass sie nach dem dramatischen Zusammenbruch ihres Spielmachers Christian Eriksen im erstem EM-Spiel überhaupt ins Halbfinale kamen, bezeichnete Englands starker Abwehrchef Harry Maguire als «inspirierend». Auch Southgate sprach von einem «unglaublichen Turnier» der Dänen. «Ich muss ihnen großen Respekt zollen.» Letztlich setzten sich die Three Lions aber verdient durch, weil sie ab der zweiten Hälfte und angetrieben vom erneut überragenden Sterling gegen die immer müder werdenden Gäste viel mehr investierten.

Die Dänen reisen nun nach Hause, auf die Engländer wartet die ultimative Prüfung. Auch am Sonntag gegen Italien werden wieder mehr als 60.000 Menschen das Wembley-Stadion in einen Party-Tempel verwandeln. Corona-Sorgen? Werden von der Euphorie im Land bei Seite geschoben. Oder wie die «Times» schrieb: «Es waren 60.000 Menschen in Wembley, dicht gedrängt, die etwas Gemeinsames erlebten, etwas Großes, etwas, das sie fast vergessen hatten. Es war eine Wiederherstellung der menschlichen Verbindung.»

Von Nils Bastek, Jan Mies und Miriam Schmidt, dpa