Saubere Athleten könnten durch flüchtigen Hautkontakt zu Opfern von Doping-Anschlägen werden.
Über ein Experiment der ARD-Dopingredaktion und des Instituts für Rechtsmedizin der Uniklinik Köln, das einen entsprechenden Nachweis dafür geliefert habe, berichtet die ARD-Dokumentation «Geheimsache Doping – Schuldig. Wie Sportler ungewollt zu Dopern werden können» am Samstag (18.00 Uhr) im Ersten.
Bei der Versuchsreihe bekamen zwölf Probanden geringe Mengen verschiedener Anabolika mittels einer Trägersubstanz über die Haut verabreicht – durch minimale Berührungen an Hand, Nacken und Arm, hieß es in einer ARD-Mitteilung am Freitag. Bei allen Probanden hätten die Erstauswertungen der Proben durch das Kölner Doping-Kontrolllabor einen massiven Betrugsverdacht ergeben.
Minimaldosen verabreicht
Die verbotenen Substanzen seien im Experiment in Minimaldosen verabreicht worden. Sie seien «zum Teil schon eine Stunde nach der Applikation und bis zu 15 Tage lang nachweisbar» gewesen, hieß es. Athleten, die mit diesen Ergebnissen konfrontiert wurden, reagierten entsetzt – vor allem wegen möglicher Anschlagsszenarien.
Er stelle sich die Frage, ob die neue Faktenlage «vielleicht auch ein Stück weit das Ende des professionellen Sports» bedeuten könne, sagte Triathlon-Olympiasieger Jan Frodeno, nachdem er mit mehreren deutschen Topathleten Teile der ARD-Doku vor der Ausstrahlung gesehen hatte: «Wie will man da in Zukunft noch irgendeine saubere Legitimität darstellen, wenn der Betrug eigentlich grenzenlos wird?»
Röhler: «Bin einfach geschockt»
Auch Beachvolleyballerin Karla Borger («Wie kann man sich jetzt noch schützen?») oder Fußballerin Almuth Schult («Es ist zu einfach, die Athleten mit nur einer einzigen Urinprobe als schuldig hinzustellen») zeigten sich verunsichert. Das Experiment habe «in alle Richtungen extreme Auswirkungen», sagte Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler: «Ich bin einfach geschockt.»
Mario Thevis, Leiter des Kölner Doping-Kontrolllabors, meinte nach Ansicht der Resultate des Experiments: «Wenn die Proben von Athleten gestammt hätten, hätten wir mit großer Wahrscheinlichkeit in zahlreichen der genommenen Proben einen positiven Befund erheben müssen.» Dann hätte man einen Verstoß gegen die Anti-Doping-Regeln, der entsprechend sanktioniert worden wäre. Der betroffene Sportler würde «auf jeden Fall bestraft werden, möglicherweise mit Sperren bis zu vier Jahren», zitierte die ARD Thevis.
Umkehr der Beweislast
Der Nachweis, dass auf simple Weise Dopinganschläge durchgeführt und Athleten durch positiv getestet werden können, bringe einen Eckpfeiler des weltweiten Anti-Doping-Systems ins Wanken: die Umkehr der Beweislast. Während im Strafrecht der Angeklagte erst dann als schuldig gelte, wenn ihm zweifelsfrei Vorsatz und Schuld nachgewiesen worden seien, diente im Sportrecht schon ein positiver Dopingtest als Schuldbeleg. Könne der betroffene Sportler nicht beweisen, nicht gedopt zu haben, werde er gesperrt.
Nach Ansicht der Verfassungsrechtlerin Angelika Nußberger würde, wenn es «so extrem» sei, dass die Verabreichung eines Dopingmittels «quasi nicht merkbar und als Sabotageakt möglich» sei, mit einer Sanktion «eine Menschenrechtsverletzung vorliegen», sagte Nußberger, die bis 2019 Vizepräsidentin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, war, der ARD. Die Folge wäre, dass die Regelungen geändert werden müssten. Man müsste diese Beweislastsituation anpassen, forderte sie. Der Sport müsste sich «ein neues System suchen».
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