Hamburg, Volksparkstadion – für den niederländischen Fußball ist diese Arena ein ganz spezieller Ort. Das 2:1 im EM-Halbfinale 1988 gegen Deutschland zählt bis heute zu den wichtigsten Erfolgen von Oranje. Für viele Niederländer ist es sogar der größte Sieg – noch bedeutsamer als das 2:0 im Endspiel gegen die damalige Sowjetunion einige Tage später.
«Endlich Rache», titelte das Boulevard-Blatt «De Telegraaf» danach in großen Buchstaben mit Blick auf die Niederlage im WM-Finale 1974 aber auch die Geschehnisse im Zweiten Weltkrieg.
36 Jahre später heißt es wieder Fußball-EM in Deutschland und erneut soll das Volksparkstadion in Hamburg für die Elftal zu einem besonderen Ort werden. Mit einem Erfolg im ersten Gruppenspiel gegen Polen will die Mannschaft von Bondscoach Ronald Koeman am Sonntag (15.00 Uhr) Schwung aufnehmen für ein erfolgreiches Turnier – an dessen Ende im Optimalfall der zweite große Titel nach 1988 stehen soll.
Koeman war auch 1988 einer der Protagonisten. In Erinnerung geblieben ist der damalige Abwehrchef aber nicht, weil er mit einem verwandelten Strafstoß die deutsche Führung durch Lothar Matthäus ausglich. Vielmehr hat es das Bild in die Fußball-Geschichte geschafft, in dem sich Koeman nach dem Sieg mit dem Trikot von Olaf Thon symbolisch den Hintern abputzt.
Geschichtsträchtige Rivalität
Eine Szene, die Symbol stand für die damalige Rivalität. Thon sprach rückblickend von «purem Hass», der der deutschen Mannschaft damals bereits vor dem Anpfiff entgegengeschlagen sei. «Wir wollten als Spieler unbedingt Revanche für das verlorene WM-Finale 1974», sagte der spätere Bayern-Profi Jan Wouters. «Für die Generation unserer Eltern hatte die Rivalität natürlich mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun.» Historiker ermittelten später, dass nach dem Sieg von Hamburg mehr Leute auf den Straßen feierten als nach der Befreiung von den Nazis.
36 Jahre später hat sich die Rivalität zwischen beiden Ländern gelegt. Und Koeman hat derzeit auch andere Sorgen, als sich mit einem möglichen Duell mit dem EM-Gastgeber im weiteren Turnierverlauf zu beschäftigen. Denn obwohl die Elftal mit zwei souveränen Siegen gegen Kanada und Island in der Vorbereitung die Euphorie in der Heimat angefacht hat, kam der Bondscoach am Dienstagabend mit einigen Sorgenfalten im Teamquartier in Wolfsburg an.
In Frenkie de Jong und Teun Koopmeiners musste Koeman kurz vor der Abreise nach Deutschland zwei ganz wichtige Spieler aus seinem Kader streichen. Beide Mittelfeldspieler hatten Schlüsselrollen im 4-3-3-System von Koeman inne. «Das ist sehr bitter für die Jungs, aber auch für uns», sagte Koeman, der im Dortmunder Ian Maatsen nur einen Spieler nachnominierte.
Unterstützung von 20.000 Fans erwartet
Doch auch nach den Ausfällen von de Jong und Koopmeiners verfügt Oranje noch über ein starkes Team. Der Großteil des Kaders ist in den Topligen England, Spanien, Italien oder Deutschland aktiv. Die ganz großen Stars wie Marco van Basten oder Ruud Gullit vor 36 Jahren fehlen zwar, doch hinter den Topfavoriten Frankreich, Spanien oder England will auch die Elftal eine gute Rolle spielen. «Wir wollen eine Mannschaft sein, gegen die man ungern spielt», sagte Kapitän Virgil van Dijk.
Das sollen am Sonntag bereits die Polen zu spüren bekommen. In der schweren Gruppe D mit den weiteren Gegnern Frankreich und Österreich kommt dem Auftaktspiel eine große Bedeutung zu. Koeman setzt bei seinem ersten großen Turnier als Trainer zudem auf die Unterstützung der Fans. «Die Vorfreude bei mir ist groß. Es ist ein großartiges Turnier. Wir werden viel Unterstützung haben und die auch benötigen», sagte Koeman bei seiner ersten Pressekonferenz im Teamquartier in Wolfsburg. Schon in Hamburg werden am Sonntag rund 20.000 Oranje-Fans erwartet.
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