Ohne Maske, mit Maske, viele Fans, weniger viele Fans: Die EM bietet in ihren ersten Tagen von Fußball-Stimmung light bis Gänsehaut den Corona-Atmosphäremix.
Die einen halten sich strikt an alle Vorgaben in Pandemie-Zeiten, die anderen dürfen praktisch alles – die Reaktionen sind von begeistert bis fast fassungslos entsprechend.
Elf Städte von der nördlichsten Millionen-Metropole in Russland bis nach Andalusien in Spanien. Dazu Teams, die selbst im eigenen Land nicht am Spielort ihr Quartier aufgeschlagen haben. In manchen Städten flackert die Begeisterung eher punktuell auf, woanders bestimmen Trikots in den Landesfarben das Outfit auch ohne Spieltag.
Begeisterte Dänen
Das wohl beste Beispiel ist Kopenhagen. Dass seit Montag das Tragen eines Mund-Nasenschutzes nicht mehr notwendig ist, dürfte nur eine willkommene Randnotiz bei den begeisterten Dänen sein, die für jeden Restaurantbesuch immer noch ein Corona-Schnelltest-Zertifikat brauchen.
Wenngleich die Fanzonen nicht wirklich proppenvoll sind, verteilen sich die Anhänger aber auf die gesamte Stadt. Kneipen sind geschmückt, die Trikots der dänischen Stars nahezu ausverkauft. Und das Bangen um Christian Eriksen bei und nach dessen schrecklichem Zusammenbruch inklusive Reanimation hat diese EM für die Dänen noch emotionaler gemacht. 25.000 Zuschauerinnen und Zuschauer dürfen an diesem Donnerstag zum Spiel gegen Belgien, und sie werden wohl auch kommen.
Das mit den Zuschauern in den Stadien ist so eine Sache. Die Europäische Fußball-Union machte es zur Bedingung, vor leeren Rängen sollten kein EM-Spiel steigen. Bilbao wurde deswegen kurzerhand gestrichen, Sevilla sprang ein. Nicht mal anderthalb Monte blieben, um sich vorzubereiten. Offizielle Fahnen auf der Hauptzubringerstraße zum Estadio La Cartuja, dazu hier und da auch Anhänger, die im Nationaltrikot am Ufer des Guadalquivir joggen.
Schlechter Rasen in Sevilla
12.000 Zuschauer sind bei den Spielen des Titelmitfavoriten erlaubt, der für die drei Gruppenspiele immer von Madrid in den Süden das Landes jettet, beim 0:0 gegen Schweden waren aber nur 10.559 Plätze besetzt. «Spanien spielt zuhause, aber…», schrieb die Sportzeitung «Marca» – ehrlicherweise aber mit Bezug auf die Pfiffe gegen Nationalspieler Alvaro Morata und den schlechten Zustand des Rasens. Die Fans, die im Stadion waren, machten schon gut Stimmung. Die umgeklappten Rücklehnen der leeren Plätze wurden kurzerhand zum Trommeln genutzt.
Wirklich schlüssige Erklärungen, warum nicht nur in Sevilla die ohnehin limitierte Zahl von Plätzen nicht ausgeschöpft wird, gibt es nicht. In München hätten 14.500 Zuschauer das 0:1 der deutschen Mannschaft am Dienstagabend im Stadion verfolgen können, 13.000 waren da. In Baku war das Verhältnis von möglichen und tatsächlichen Besuchern zum Auftakt noch deutlich größer. 31.000 dürfen rein, 8782 kamen zum 1:1 von Wales gegen die Schweiz. Die durchaus nicht kurze und unkomplizierte Anreise in Corona-Zeit nach Aserbaidschan dürfte auch ein Grund sein.
Wohl denen, die wie Italien im eigenen Land und dann auch noch in der Hauptstadt ihr Team anfeuern dürfen. Und bei den Tifosi herrscht EM-Stimmung – trotz Masken- und einer Testpflicht für den Besuch im Stadio Olimpico di Roma. Die Spieler genießen es. «Das ist ein anderer Sport», sagt der 34 Jahre alte Leonardo Bonucci von Juventus Turin.
Fan-Massen in Ungarn
Wie Fußball aus einer vergessenen Zeit kamen manch einem die Bilder aus Budapest vor. Fan-Massen Richtung Stadion, 55.662 Zuschauer waren letztlich drin. «Es war einfach großartig. Ich möchte allen Zuschauern danken», sagte Portugals Trainer Fernando Santos, dessen Team 3:0 gegen die Ungarn gewann.
Mund-Nasenschutz, Abstand – nichts dergleichen. Das sorgte auch für großes Unverständnis. «Diese Bilder zeigen genau das, was die EM vermeiden sollte», kritisierte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach in den Sozialen Netzwerken. «Während halb Europa und 95% der ärmeren Welt noch nicht geimpft sind verhält man sich so, als ob die Pandemie vorüber wäre.» Das sei rücksichtslos und unsportlich. Der frühere Bayern-Präsident Uli Hoeneß sprach von einem schlechten Signal. «Man kann nur hoffen, dass nix passiert», sagte er bei MagentaTV.
Bis zum Finale am 11. Juli in London müssen Fans, Gastgeber und Veranstalter mit den Herausforderungen der Pandemie umgehen, die im vergangenen Jahr schon zur Verlegung des ersten paneuropäischen Turniers auf 2021 geführt hatte. Trotz der rapiden Ausbreitung der hochansteckenden Delta-Variante könnten nach einer Erlaubnis der britischen Regierung im Wembley-Stadion beim Endspiel sogar zu 40.000 Zuschauer dabei sein. Gut die Hälfte hatte schon beim ersten Spiel der Engländer in London, das sie mit 1:0 gegen Vizeweltmeister Kroatien gewannen für Fußball-Stimmung vom Feinsten gesorgt und nicht nur die Fußball-Hymne schlechthin ein bisschen vorwegnahm, was die EM-Wochen auch bringen sollen: «Football’s coming home».
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